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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
rende eine Distanzierung gegenĂĽber ihrem Herkunftsmilieu, bedingt durch
ihren Bildungsaufstieg und den auf diese Weise modifizierten Habitus (vgl.
Zafer, Mustafa).
Eine solche Entwicklung schildert Zafer, der mittels seines Bildungsauf-
stiegs eine kritische Reflexionsfähigkeit ausbilden kann, welche die stag-
nierende Entwicklung seiner Eltern übersteige, was zu deren Unverständ-
nis fĂĽhre:
„Das passiert, glaube ich, da automatisch, dass man sich dann distan-
ziert. Weil die leben ein anderes Leben als wie ich. Und wenn ich mich
weiterentwickeln will, muss ich mich von diesem Leben distanzieren.
Wenn ich jetzt mal zum Urlaub dorthin fahre, dann merke ich sofort, dass
auch mit mir was nicht in Ordnung ist. Weil dort wird nur Fernsehen ge-
schaut und die Themen sind seit Jahren immer wieder gleich. Politische
Themen. Andere Themen. Was man dann zuhause spricht. Und automa-
tisch distanziert man sich dann da. Weil, was ich sage, hört mein Vater
nicht zu. Und deswegen verstehen wir uns auch nicht so gut. Ich habe
etwas Neues dazugelernt. Er bleibt immer so, wie er ist. Und automatisch
distanziert man sich dann.“ (Zafer, Z. 346–354)
Andere Studierende äußern eine etwas abweichende Auffassung hinsicht-
lich einer Distanzierung von ihrem frĂĽheren sozialen Umfeld bzw. ihrer
Familie (vgl. Aylin, Mehtap, Neslihan, Sinan, Yasin). Aylin merkt sogar an,
dass sie durch ihr Studium und ihre damit einhergehende persönliche Wei-
terentwicklung ein besseres Verständnis für ihre Eltern ausbilden könne:
„[…] durch meine universitäre Bildung habe ich viel mehr Empathie
aufbauen können. […] Als Wahlfach habe ich Psychologiefächer gewählt.
Und durch diese Fächer versuche ich einfach meine Eltern besser zu ver-
stehen. Statt mich zu distanzieren von ihnen, versuch ich einen gemein-
samen Weg zu finden und, wenn wir Probleme haben, das anders zu klä-
ren. Nee, also genau das Gegenteil. Es hat mir viel mehr gebracht, eine
Brücke zwischen mir und meinen Eltern aufzubauen.“ (Aylin, Z. 489–
495)
Die Distanz findet hier einen anderen Ausdruck: Wenn Aylin versucht, BrĂĽ-
cken zu ihren Eltern zu bauen, setzt dies bereits eine Differenz voraus, wo-
Einige der Befragten beschreiben eine Distanzierung gegenĂĽber ihrem Herkunfts-
milieu, bedingt durch den durch den Bildungsaufstieg modifizierten Habitus.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven