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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
Tradition und Religion
Wie gerade erwähnt, streben die Studierenden danach, ihr Zugehörig-
keitsgefühl zur österreichischen Gesellschaft mit ihrer türkischen Prägung
durch das Elternhaus in einem harmonischen Gleichgewicht zu halten.
Eine besondere Relevanz weisen im Zusammenhang mit dem Herkunfts-
milieu Tradition und Religion auf. Die folgenden Ausführungen widmen
sich diesen durch die Eltern vermittelten religiösen und kulturellen Ein-
flüssen und zeigen den persönlichen Umgang der Studierenden mit einer
solchen Ausgangslage auf.
Betrachtet man die Bedeutung, die Tradition und Religion bei den Eltern
der Studierenden hatten, so ergibt sich ein äußerst heterogenes Bild, das
von einer starken Orientierung an religiösen und/oder kulturellen Inhal-
ten (vgl. Neslihan, Sultan, Ahmet, Zeki) bis hin zu einer marginalen Bedeu-
tung reicht (vgl. Zeynep, Mustafa) – wobei die Grenze zwischen Religion
und Kultur oftmals nicht klar gezogen ist. Einige Studierende sprechen
aus, dass die türkische Tradition mit dem Islam verschränkt sei (vgl. Zafer,
Zeki). Dennoch können mehrere Befragte eine Hierarchie zwischen Reli-
gion und Kultur im Elternhaus ausmachen, wobei beide Varianten – so-
wohl die Höherstellung der Tradition (vgl. Aylin, Yasin, Zafer) als auch der
Fokus auf religiöse Werte und Haltungen (vgl. Ayse, Sinan) – festzustellen
sind. Hierzu merken einige an, dass mit bestimmten traditionellen Akten
und Haltungen gerne gebrochen wird, falls diese mit der gewählten Le-
bensweise und den Anschauungen der Eltern unvereinbar sind:
„Tradition ist für uns nicht sehr wichtig. Wichtig ist: Wenn die Tradition
nützlich ist, wird sie eingehalten. Wenn Tradition einen Nachteil er-
gibt, wird sie nicht eingehalten. Tradition ist zum Beispiel, wenn Gäste
kommen, sind alle da. Bei uns wurde das nicht eingehalten. Für meine
Mutter war die Schule viel, viel wichtiger, deswegen wurde diese Tra-
dition von meiner Mutter gebrochen. Sie wollte keinen Besuch unter der
Woche – wenn, dann nur am Wochenende. Sie hat auch diese Tradition
gebrochen, dass türkische Mädchen nie auf Exkursionen oder auf Schul-
veranstaltungen geschickt werden. Ich war in Amerika und Rom. Ich war
in Kärnten, ich war in Steiermark, ich war oft unterwegs. […] wir akzep-
tieren nur das, was uns nützt. Alles, was uns nicht nützt, kommt nicht
Eine besondere Relevanz weisen im Zusammenhang
mit dem Herkunftsmilieu Tradition und Religion auf.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven