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Edith Petschnigg | Generationen im jüdisch-christlichen Dialog seit 1945
Die Besonderheiten des jüdisch-christlichen Verhältnisses im Deutschland
der Nachkriegszeit galten desgleichen für Österreich. Deutlich ablesbar
wird dies etwa an der Gründung der Österreichischen Christlich-Jüdischen Bi-
belwoche in Graz. So bildete die Auseinandersetzung mit der Schoah den
zentralen Anlass, eine Dialoginitiative nach Bendorfer Vorbild ins Leben zu
rufen. Die NS-Vergangenheit ihrer Gründerin Erika Horn als BDM-Führe-
rin und deren radikale Abkehr vom Nationalsozialismus noch zur Kriegs-
zeit, die Anfang der 1980er-Jahre schließlich in der Gründung der Grazer
Bibelwoche mündete, wurden vor den Teilnehmenden stets offengelegt.
Der ehemalige steirische Landtagsdirektor Heinz Anderwald, Mitglied der
Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, zollt Erika Horn dafür höchsten
Respekt:
„Ich habe das sehr mutig gefunden, dass sie das so getan hat und so-
zusagen eine Aufarbeitung ihres eigenen Lebens gebracht hat, weil die
meisten Menschen nicht bereit und fähig sind, eigene Fehler einzusehen
bzw., um es ein bisschen deutlicher zu sagen, dass sie einem verbreche-
rischen Regime gedient hat. Das kann ich nur bewundern“ (Interview
Anderwald).
Für Angehörige der ersten Dialoggeneration, wie die Grazer Erwachse-
nenbildnerin Erika Horn diese paradigmatisch darstellt, war das jüdisch-
christliche Gespräch vielfach biographisch motiviert. Rückblickend zog die
Begründerin der Österreichischen Christlich-jüdischen Bibelwoche in diesem
Sinne folgende Bilanz:
„Und können Sie sich denken, was mir diese Bibelwoche für ein Anlie-
gen war! Es war erst da ein gewisser Abschluss, ich meine, gewiss nie ein
Abschluss, dieser schmerzliche Punkt bleibt mir. Aber gut, mehr als das
weitergeben konnte ich nicht. [...] Es war mir so eine Freude und eine Le-
benserleichterung, mit dieser Bibelwoche, dass das gelungen ist, wirklich
wahr“ (Interview Horn).
Post hoc wird die Verarbeitung der Bezugsereignisse Zweiter Weltkrieg und
Schoah ein zentrales Momentum generationeller Selbstthematisierung für
diejenigen, die diese Zeit als Jugendliche oder Erwachsene miterlebt ha-
ben und sich in den Jahrzehnten nach 1945 im jüdisch-christlichen Dialog
Erika Horn, 2014
Foto: Edith Petschnigg
Zu den Charakteristika der ersten Dialoggeneration gehörte die Erfahrung des
Erlebens (und Überlebens) der NS-Zeit – auf TäterInnen- wie auf Opferseite.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven