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Johannes Thonhauser | Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
Das Fresko findet sich an der Fassade des vom Künstler in seinem letzten
Lebensjahrzehnt bewohnten Hauses am heute nach ihm benannten Lo-
bisserweg in Klagenfurt. Darauf zu sehen ist eine liegende nackte Frau, die
durch den Schriftzug unterhalb als Allegorie für das Land Kärnten identifi-
ziert werden kann. Ihr Unterleib wird durch ein Kärntner Bauernhaus ver-
deckt. Darüber sind Soldaten jener Völker zu sehen, die in der Geschichte
Kärntens als Bedrohung für das Land wahrgenommen wurden. In chrono-
logischer Reihenfolge von links nach rechts „besteigen“ oder „überren-
nen“ ein Römer, ein Aware, ein Osmane, ein Franzose und ein Jugoslawe
die liegende „Carinthia“. Am rechten Bildrand ist ein Kärntner Bauer mit
Wappen und Schaufel in der Hand zu sehen. Sein Blick ist nach rechts, also
in die Zukunft gerichtet. Er steht wohl für die Kärntner Bevölkerung, die
diesen stetigen Bedrohungen im Laufe der Geschichte getrotzt hat und er-
neut mit der Schaufel in der Hand die Heimat aufbauen wird.
Die angeführten Beispiele deuten an, auf welche Weise das Narrativ von
Bedrohung und Widerstand unter dem Eindruck des Kärntner Abwehr-
kampfes transformiert wurde. Es entstand nicht erst mit dem Abwehr-
kampf, sondern war seit vielen Generationen Teil des Kärntner Heimat-
bewusstseins. So war es etwa die Erinnerung an den Widerstand gegen die
französischen Besatzer in der Zeit der napoleonischen Kriege, die ähnliche
identitätsstiftende Kraft entfalten konnte wie die Ereignisse zwischen 1918
und 1920 (vgl. Festschrift 1909; vgl. Unterluggauer 1913), ehe sie von diesen
mehr oder minder ersetzt wurde.
Ein kurzer Blick in einschlägige Heimatliteratur soll diesen Eindruck be-
kräftigen. So lobt ein Heimatautor im Rückblick auf die Franzosenzeit die
„Braven von Kärnten […], die in den Kriegswirren jener Zeit durch ihren
Wagemut und die opferfreudigste Heimatliebe ein bleibendes Denkmal in
unseren Herzen verdient haben […].“ (Widmann 1923, 123) Dabei spielte
es offensichtlich keine Rolle, ob der Widerstand erfolgreich war oder nicht.
„Unser Kärntnerland, an den Toren Italiens gelegen, hatte unendlich
schwere Tage. Der Heldenkampf des Forts Malborghet und Predil un-
ter den Hauptleuten Hensel und Hermann endete mit der Erstürmung
der Befestigung. Der Feind war zu stark. Hier fielen Helden, hier starben
Männer den Tod für die Heimat und diesem Heldenmute gebührt tau-
sendjähriger Nachruhm.“ (Widmann 1923, 122; Hervorheb. im Orig.)
Für die inhaltliche Ausfüllung des Narrativs ist auch unerheblich, dass, wie
Willibald Rosner bemerkt, die als ruhmreicher Abwehrkampf stilisierte
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven