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Johannes Thonhauser | Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
Die Partisanenverbände, also Angehörige der von Josip Broz Tito (1892–
1980) geführten jugoslawischen Volksbefreiungsarmee, wurden in Kärnten
zunächst beinahe ausschließlich als plündernde und vergewaltigende Ban-
diten und Räuber wahrgenommen.4 Die Tatsache, dass die Tito-Truppen in
den Tagen nach Kriegsende die (wiederum gescheiterte) Annektierung von
Teilen Südkärntens erneut erzwingen wollten, hat diese Wahrnehmung
ebenso gestärkt wie die schrecklichen Massaker an Kriegsgefangenen, die
von diesen Truppen u. a. am Loibacher Feld bei Bleiburg verübt wurden
(vgl. Rulitz 2012). Erst in jüngerer Zeit scheint dieser Diskurs etwas diffe-
renzierter geführt zu werden.
Schlussbemerkungen
Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand im Kontext des sogenann-
ten „Minderheitenkonflikts“ dominierte also einen wesentlichen Teil der
Kärntner Erinnerungskultur bis in die jüngste Vergangenheit. So konnte
etwa der jahrzehntelange Ortstafelkonflikt rund um die Aufstellung von
Ortstafeln mit zweisprachigen Ortsbezeichnungen in Südkärntner Ge-
meinden erst im Jahr 2011 beigelegt werden.
Doch damit hat das Narrativ von Bedrohung und Widerstand keineswegs an
Kraft verloren – es hat nur wiederum seine konkrete Ausgestaltung verän-
dert. So kann man zwar davon ausgehen, dass der „Minderheitenkonflikt“
sich langsam zu einem „Generationenkonflikt“ transformiert: Soweit sich
sehen lässt, können viele junge Kärntner und Kärntnerinnen – unabhän-
gig von ihrer Muttersprache – die Ängste und Vorurteile ihrer Eltern- und
Großelterngeneration kaum mehr nachvollziehen. Im Hintergrund dieser
Entwicklungen stehen der gesamteuropäische Einigungsprozess wie auch
der österreichische Aufarbeitungsprozess des „Opfermythos“ im Gefolge
der Waldheim-Affäre, der mit einiger zeitlicher Verzögerung nun in Kärn-
ten zum Tragen kommt. Zugleich aber erfährt das Narrativ von Bedrohung
und Widerstand mit der erneuten Renationalisierung und Polarisierung im
Kontext der gegenwärtigen Migrationsbewegungen ungebrochene Bedeu-
tung. Mit der Klimakrise und ihren globalen Folgewirkungen zeichnet sich
ein weiteres Bedrohungsszenario ab, dessen Auswirkungen auf dieses Nar-
rativ noch abzuwarten sein werden.
Auch die jüngsten innerkirchlichen Konflikte rund um den im Juli 2018 aus
Kärnten in die Diözese St. Pölten abberufenen Bischof Alois Schwarz lassen
sich vor dem Hintergrund der vorgestellten mentalitätsgeschichtlichen
4 Im Unterschied zur Zeit des
Abwehrkampfes gibt es für diese
Phase noch Zeitzeugen und
Zeitzeuginnen, deren Erinnerung an
jene Geschehnisse den öffentlichen
Diskurs der Nachkriegsjahrzehnte
bis in die jüngere Vergangenheit
widerspiegelt. Stellvertretend für
viele Erzählungen steht die folgende
Kindheitserinnerung, die der Au-
tor mit seinem 1932 geborenen und
2016 verstorbenen Vater aufgezeich-
net hat: „Dåmåls, wie der Krieg aus
wår, wollten jå die Tito-Partisanen
wieder dås Gebiet håben, von Fram-
rach weg, also Kärnten abtren-
nen. Und då håm sie ja so g’haust
dort hinten, nåch da Drau aufa, die
gånzen Mädchen vergewåltigt […].
Zusammenbruch wår, es wår jå ålles
d’runter und d’rüber. Die Dirndlan
sind nachher kemman und håm
g’sågt, dass draußen då so verhee-
rend is mit die Partisanen und die
jungen Dirndlan.“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven