Seite - 140 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
Bild der Seite - 140 -
Text der Seite - 140 -
140 | www.limina-graz.eu
Johannes Thonhauser | Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand
Die PartisanenverbĂ€nde, also Angehörige der von Josip Broz Tito (1892â
1980) gefĂŒhrten jugoslawischen Volksbefreiungsarmee, wurden in KĂ€rnten
zunĂ€chst beinahe ausschlieĂlich als plĂŒndernde und vergewaltigende Ban-
diten und RĂ€uber wahrgenommen.4 Die Tatsache, dass die Tito-Truppen in
den Tagen nach Kriegsende die (wiederum gescheiterte) Annektierung von
Teilen SĂŒdkĂ€rntens erneut erzwingen wollten, hat diese Wahrnehmung
ebenso gestÀrkt wie die schrecklichen Massaker an Kriegsgefangenen, die
von diesen Truppen u. a. am Loibacher Feld bei Bleiburg verĂŒbt wurden
(vgl. Rulitz 2012). Erst in jĂŒngerer Zeit scheint dieser Diskurs etwas diffe-
renzierter gefĂŒhrt zu werden.
Schlussbemerkungen
Das Narrativ von Bedrohung und Widerstand im Kontext des sogenann-
ten âMinderheitenkonfliktsâ dominierte also einen wesentlichen Teil der
KĂ€rntner Erinnerungskultur bis in die jĂŒngste Vergangenheit. So konnte
etwa der jahrzehntelange Ortstafelkonflikt rund um die Aufstellung von
Ortstafeln mit zweisprachigen Ortsbezeichnungen in SĂŒdkĂ€rntner Ge-
meinden erst im Jahr 2011 beigelegt werden.
Doch damit hat das Narrativ von Bedrohung und Widerstand keineswegs an
Kraft verloren â es hat nur wiederum seine konkrete Ausgestaltung verĂ€n-
dert. So kann man zwar davon ausgehen, dass der âMinderheitenkonfliktâ
sich langsam zu einem âGenerationenkonfliktâ transformiert: Soweit sich
sehen lĂ€sst, können viele junge KĂ€rntner und KĂ€rntnerinnen â unabhĂ€n-
gig von ihrer Muttersprache â die Ăngste und Vorurteile ihrer Eltern- und
GroĂelterngeneration kaum mehr nachvollziehen. Im Hintergrund dieser
Entwicklungen stehen der gesamteuropÀische Einigungsprozess wie auch
der österreichische Aufarbeitungsprozess des âOpfermythosâ im Gefolge
der Waldheim-AffÀre, der mit einiger zeitlicher Verzögerung nun in KÀrn-
ten zum Tragen kommt. Zugleich aber erfÀhrt das Narrativ von Bedrohung
und Widerstand mit der erneuten Renationalisierung und Polarisierung im
Kontext der gegenwÀrtigen Migrationsbewegungen ungebrochene Bedeu-
tung. Mit der Klimakrise und ihren globalen Folgewirkungen zeichnet sich
ein weiteres Bedrohungsszenario ab, dessen Auswirkungen auf dieses Nar-
rativ noch abzuwarten sein werden.
Auch die jĂŒngsten innerkirchlichen Konflikte rund um den im Juli 2018 aus
KÀrnten in die Diözese St. Pölten abberufenen Bischof Alois Schwarz lassen
sich vor dem Hintergrund der vorgestellten mentalitÀtsgeschichtlichen
4 Im Unterschied zur Zeit des
Abwehrkampfes gibt es fĂŒr diese
Phase noch Zeitzeugen und
Zeitzeuginnen, deren Erinnerung an
jene Geschehnisse den öffentlichen
Diskurs der Nachkriegsjahrzehnte
bis in die jĂŒngere Vergangenheit
widerspiegelt. Stellvertretend fĂŒr
viele ErzÀhlungen steht die folgende
Kindheitserinnerung, die der Au-
tor mit seinem 1932 geborenen und
2016 verstorbenen Vater aufgezeich-
net hat: âDĂ„mĂ„ls, wie der Krieg aus
wÄr, wollten jÄ die Tito-Partisanen
wieder dÄs Gebiet hÄben, von Fram-
rach weg, also KĂ€rnten abtren-
nen. Und dĂ„ hĂ„m sie ja so gâhaust
dort hinten, nÄch da Drau aufa, die
gĂ„nzen MĂ€dchen vergewĂ„ltigt [âŠ].
Zusammenbruch wÄr, es wÄr jÄ Älles
dârunter und dârĂŒber. Die Dirndlan
sind nachher kemman und hÄm
gâsĂ„gt, dass drauĂen dĂ„ so verhee-
rend is mit die Partisanen und die
jungen Dirndlan.â
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven