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Roberta Maierhofer | „Clash of Generations“ oder gelebte Intergenerationalität: Visages Villages (FR 2017)
Der Film folgt einem Zugang, wonach die Ereignisse in einem zeitlichen
Zusammenhang stehen, so dass Gegenwärtigkeit aus „Augenblicken“
einer „Reise“ zustande kommt und die Bezogenheit von Aktualität und
Kontinuität der menschlichen Erfahrung von Zeitlichkeit zugrunde liegt.
Je nachdem, wie das Individuum in seiner Existenzgestaltung auf diese Be-
zogenheit eingeht, ergeben sich unterschiedliche Äußerungen.
Im Vergleich von zwei Selbstdarstellungen Vardas wird die Konsequenz des
unterschiedlichen Zugangs zur Zeitlichkeit deutlich. Während sie noch in
ihrer eigenen filmischen Lebensgeschichte the Beaches oF agnès „die Rolle
einer kleinen alten Dame“ einnimmt und Erinnerungen – als pars pro toto
für Zeitlichkeit – mit durch die Finger rieselnden Sand vergleicht, erlaubt
ihr hingegen im Film Visages Villages die gegenwartsschaffende Zusam-
menarbeit mit JR das Erfassen ihrer Identität als ein gemeinsames Erzäh-
len im Hier und Jetzt auf Augenhöhe des anderen.
In der existentiellen Gegenwärtigkeit kommt es nämlich zu einer Über-
schneidung bzw. Aufweichung der Unterschiede, die „außerhalb“ der Ge-
genwärtigkeit durch die zwei Medien, zwei Lebenssituationen, durch die
beteiligten Personen und Orte existentiell gegeben sind. Das Kunstwerk
nimmt diese integrative Gegenwärtigkeit durch seine formal-gegenständ-
liche Verfasstheit auf, es ist aber nun die Gegenwärtigkeit des Kunstwerks,
die in die des Publikums hineinwirkt. Alter und Jugend werden vom Film als
Aspekte der Zeitlichkeit gezeigt, deren Gegenwärtigkeit einmal als Zukunft
der Vergangenheit – was wird aus den Fotoaktionen –, einmal als Vergan-
genheit der Zukunft – was bleibt von den Fotoaktionen – erscheint.
Die Gegenwärtigkeit – die gefilmte Fotoaktion – macht den gemeinsa-
men Ausgangspunkt fĂĽr Vergangenheit und Zukunft aus. Damit ruft der
Film in Erinnerung, dass alle „Kategorien“, mit denen wir die menschliche
Existenz zu erfassen suchen, formal-analytisch zwar separat thematisiert
werden können, aber inhaltlich-synthetisch zu einem Lebenskontinu-
um zusammenwirken, konkret in der jeweiligen Gegenwärtigkeit unseres
Lebens. Alter und Jugend machen daher formal-analytische Zugänge zur
inhaltlich-synthetischen Gegenwärtigkeit unseres Lebens aus, die dieser
formale Begrenzungen verleihen, wodurch Gegenwärtigkeit erst repräsen-
tiert, gewusst werden kann. Insofern greift das Kunstwerk, der Film diese
Begrenzungen, Formen auf, um damit die „formlose“ inhaltliche Gegen-
wärtigkeit der menschlichen Existenz erkennbar zu machen.
Alter oder Jugend sind damit nicht mehr Eigenschaften des Individuums,
sondern werden in Visages Villages als existentielle Herausforderung bei der
Schaffung von Gegenwärtigkeit gesehen, die darin besteht, Gegenwärtig-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 222
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven