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Wolfgang Benedek | Religiöser Fundamentalismus aus menschenrechtlicher Sicht
etwa darin, ob Staatskirchen bestehen oder nicht. Populistische Führungs-
personen verbinden sich oft mit religiösem Fundamentalismus, um ihre
Machtansprüche zu verfolgen. In der Türkei wird der Säkularismus des
Staatsgründers von Präsident Erdogan zwecks Stabilisierung der Herr-
schaft durch einen zunehmenden islamischen Fundamentalismus ersetzt,
der einen Einfluss auf die ganze Region zum Ziel hat. Nach der Eindäm-
mung des Islamischen Staates sind Reste davon immer noch aktiv, während
die Al-Kaida sich in den Saharastaaten und in Afghanistan weiter ausbrei-
tet und dort mit den fundamentalistischen Taliban gegen die vom Westen
gestützten Regierungen kämpft. In Nigeria werden Christen durch Boko-
Haram verfolgt, die durch die Entführung ganzer Schulklassen bekannt
geworden sind. Von Kenia bis Somalia ist die Al-Shabab tätig, wobei diese
fundamentalistischen Gruppen auch die moderaten Muslime oder andere
muslimische Ausrichtungen als Takfiristen aufs Korn nehmen (vgl. Shazad
2007). Das friedliche Zusammenleben von Staaten und die internationale
Zusammenarbeit im Sinne der Charta der Vereinten Nationen werden da-
durch schwer beeinträchtigt, insbesondere wenn der Fundamentalismus
zum gewalttätigen Extremismus wird, der terroristische Mittel einsetzt.
Religiöser Fundamentalismus in seiner extremen Form lehnt in der Regel
die Trennung von Staat und Religion ab, die wiederum die Voraussetzung
für einen säkularen Staat auf Grundlage der Menschenrechte ist. Der Glau-
be ist nicht nur Privatsache, sondern auch staatliche Angelegenheit. Im Fall
des Islam ist der Idealfall der islamische Staat, wie er in verschiedenen Aus-
prägungen besteht bzw angestrebt wird. Damit kann es auch keine – voll-
ständige – Religionsfreiheit geben. Andere Religionen werden bestenfalls
geduldet, habe aber keine gleichen Rechte, wie dies etwa in der Türkei, aber
auch in etlichen anderen nicht nur islamischen Ländern zu beobachten ist.
Typisch ist auch der absolute Wahrheitsanspruch, in der Regel in Verbin-
dung mit einer bestimmten Offenbarung (vgl. Weiss 2013). Damit werden
auch sog. ‚gerechte Kriege‘ gerechtfertigt, in der Vergangenheit war dies
auch im Christentum der Fall. Zu beachten ist, dass sich der islamische
Fundamentalismus nicht allein gegen NichtmuslimInnen richtet, sondern
häufig auch gegen andere muslimische Ausrichtungen oder MuslimInnen,
die in ihrer Glaubenspraxis als zu nachlässig gesehen werden.
Religiös begründeter Terrorismus und Menschenrechte
Die Zunahme von Gewaltbereitschaft bei der Verfolgung religiös-funda-
mentalistischer Ziele in Form des Terrorismus hat zu umfassenden Ge-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:1
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 224
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven