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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
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70 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische GefĂ€hrdung talismus-Begriff belegt werden, können auch anders und präziser benannt oder kritisiert werden (ultra-orthodox, reaktionĂ€r, traditionalistisch, in- tegralistisch, salafistisch etc.), sofern sie sich ansonsten als frei von Gewalt zeigen – was den Hinweis auf mögliche Gewaltpotenziale nicht ausschließt. Dies bringt es natĂŒrlich mit sich, auch diese Begriffe genauer zu definieren, was hier nicht geleistet werden kann; ich halte es jedoch fĂŒr sinnvoll, im gegenwĂ€rtig breiten, als ‚Fundamentalismus‘ bezeichneten Feld mehr be- griffliche Differenzierungen einzufĂŒhren. Allerdings weist auch der Gewaltbegriff eine Unschärfe auf: Schirrmacher hat primär physische Gewalt im Blick; jeder Versuch, den Gewaltbegriff weiter zu öffnen (verbal, psychisch, strukturell) bedingt stets eine grĂ¶ĂŸere UnschĂ€rfe in seiner Bestimmung, zudem psychische Gewalt auch physische Auswirkungen hat. Mit Alan Fiske und Tage Rai verstehe ich Gewalt in der Folge als „action in which the perpetrator regards inflicting pain, suffering, fear, distress, injury, maiming, disfigurement, or death as the intrinsic, necessary, or desirable means to the intended ends“ (Fiske/Rai 2014, 2). Fundamentalistisch kann daher ein System genannt werden, wenn es die Anwendung von Gewalt bewusst durch seine Lehre legitimiert und als Teil seiner Praxis ausĂŒbt, indem Lehre und Praxis gewaltoffen ausgelegt wer- den. Dies betrifft Gewalt gegen andere – durch Drohungen, gezielte Über- griffe, Attentate, Verfolgung oder Ermordung –, aber ebenso Gewalt gegen Mitglieder des eigenen Systems, etwa durch EinschĂŒchterung, körperliche Bestrafung bei Vergehen oder Hinrichtung von Dissident:innen. Doch eine solche Definition lässt andere Fragen unbeantwortet: Warum entsteht diese Neigung zur Gewalt? Wodurch ist sie motiviert? Tendieren bestimmte Weltanschauungen – oder gar religiöse Weltanschauungen – eher zu Gewalt als andere? Thomas Meyer definiert etwa als Entstehungs- bedingungen fĂŒr Fundamentalismen aller Art „die Gefahr einer möglichen Auflösung [traditioneller Milieus] im Zuge kultureller und gesellschaft- licher Modernisierungsprozesse“, dazu eine „plötzliche sozio-kulturelle KrĂ€nkung [verbunden] mit der Erfahrung oder der Drohung sozialen Ab- stiegs und ökonomischer Unsicherheit“, die gleichzeitig auf „schlagkrĂ€f- tige Organisationen, charismatische FĂŒhrer, wirksame Kommunikations- techniken und populistische Parolen“ treffen (Meyer 2011, 96–97). Aber reicht das aus, um Gewalt zu verursachen? Vorschnell werden fundamentalistische Haltungen oder Gewaltakte als durch Angst oder Hass motiviert beschrieben: Die Ablehnung von Mo- derne, von PluralitĂ€t, von Freiheit oder von Menschengruppen wird nach dieser Deutung so stark, dass sie sich zunĂ€chst als negative Haltung und
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
Title
Limina
Subtitle
Grazer theologische Perspektiven
Volume
4:1
Editor
Karl Franzens University Graz
Date
2021
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
21.4 x 30.1 cm
Pages
224
Categories
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