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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
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Page - 83 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1

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83 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische GefĂ€hrdung (Stichwort: Abscheu). Dieses gemeinsame Handeln schafft zugleich eine starke Gemeinschaftserfahrung und ermöglicht Zugehörigkeit durch com- munal sharing, zum Ausdruck gebracht durch egalitĂ€re Sprache (‚BrĂŒder und Schwestern‘), gemeinsame Kleidung, Symbole, Riten und Freund- schaften. Zusammengehalten wird dies von einem religiösen Deutungs- system, das klare Regeln, Orientierungen und Ordnungen bietet und zu- gleich auch Protest gegen gesellschaftliche MissstĂ€nde ermöglicht (vgl. El-Mafaalani 2017, 79–82): Reinheit der Lehre, Reinheit der Gruppe und Reinheit des Handelns. Doch auch hier wĂŒrde ich dafĂŒr plĂ€dieren, nicht von Fundamentalismus zu sprechen, solange diese drei Formen der Reinheit nicht mit legitimierten Formen von Gewalt durchgesetzt werden, solan- ge das System noch andere Möglichkeiten besitzt, mit Anomalien und Ge- fährdungen umzugehen, wie etwa die von Douglas (s.  o.) benannten Wege der Re-Interpretation, der Vermeidung oder der rituellen Integration. Ein Faktor dabei ist auch kulturelle Entwurzelung: Olivier Roy hat ĂŒber- zeugend dargelegt, dass eine lokale Verwurzelung religiöser Traditionen gleichsam eine ‚unsaubere‘ Religion erzeugt, mit verschiedenen Volks- brĂ€uchen, Synkretismen und regionalen Varianten. Wird diese Einbindung jedoch aufgelöst, durch SĂ€kularisierung oder Migration, kommt die Vor- stellung einer ‚reinen‘ Religion stĂ€rker zum Ausdruck und wird zu einem Referenzpunkt religiöser Entwicklungen, die sich von traditionellen Re- ligionsformen, aber auch sĂ€kularen Gesellschaften abkoppeln (vgl. Roy 2010). Religion wird von kulturellen, lokalen, historischen, weltlichen Be- zĂŒgen gleichsam ‚gereinigt‘ und idealisiert. Auch hier erzeugen sich Ord- nung und Unordnung, wie bei Douglas, gegenseitig: Die sĂ€kulare Gesell- schaft weist Religionen einen Sonderbereich zu (und macht sie damit zu etwas PrekĂ€rem), umgekehrt können sich Religionen als Reaktion auf die SĂ€kularisierung von ihren regionalen und historischen Wurzeln abwen- den – und beide Seiten fĂŒhlen sich voneinander bedroht. Die EngfĂŒhrung und ‚Reinigung‘ von Ordnungssystemen bietet also Vor- teile, nĂ€mlich Klarheit, Orientierung, soziale IdentitĂ€t, KohĂ€sion, Zugehö- rigkeit, Sinnstiftung. Zugleich erzeugt dies, mit Douglas gesprochen, aber auch eine hohe Zahl an Anomalien, an Menschen, Lehren und Verhaltens- weisen, die nicht (mehr) ins System passen. So lange es zu keinem unmit- telbaren GefĂŒhl der GefĂ€hrdung kommt, können solche Gemeinschaften in Kulturelle Entwurzelung fördert die idealisierte Vorstellung einer ‚reinen‘ Religion.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
Title
Limina
Subtitle
Grazer theologische Perspektiven
Volume
4:1
Editor
Karl Franzens University Graz
Date
2021
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
21.4 x 30.1 cm
Pages
224
Categories
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