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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
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95 | www.limina-graz.eu Fabian Müller | Biblizismus als Retter der Tradition? wendete, neben der wörtlichen Interpretation, auch die allegorische Aus- legung. So baut Hugos Kirchenlehre auf der Erzählung von Noahs Arche in Gen 5–9 auf (vgl. Berndt 1996, 474). Fragt man nach den Gründen, warum Interpreten vom wörtlichen Sinn ab- rückten und bestimmte Stellen allegorisch ausgelegt haben, so lassen sich drei für unsere Fragestellung wichtige Gründe ausmachen: 1. Eine wörtliche Auslegung führt zu einem Widerspruch mit dem zeitgenössischen ‚naturwissenschaftlichen‘ Allgemeinwissen. In Psalm 136,6 wird verkündet, dass Gott „die Erde gefestigt hat über den Wassern“. Laut Augustinus kann dieser Psalm „richtig nur im bildlichen Sinn aufgefasst werden“ (Aug.gen.lit. 1,2,4; vgl. Swin- burn 2009, 15), da viele Menschen „mit sicheren Grundlagen er- fasst und mit offenbaren Beweisen erhärtet“ (Aug.gen.lit. 1,2,4) haben, dass Erde nicht am Wasser schwimmt, sondern untergeht. 2. Neben einem solchen ‚naturwissenschaftlichen‘ Grund kann es aber auch ethische Gründe dafür geben, eine Bibelstelle nicht im wörtlichen Sinn auszulegen. In Psalm 137,9 schwört der Verfasser dem babylonischen Feind Rache und ruft: „Wohl dem, der deine Kinder packt und sie am Felsen zerschmettert!“ (Ps 137,9) Hier standen zentrale christliche Wertvorstellungen (Nächstenliebe, Verbot der Rache) und das christliche Gottesbild (Allgüte) einer wörtlichen Auslegung entgegen. Diese Wertvorstellungen selbst lassen sich wiederum auf bestimmte Bibelstellen (z. B. Mk 12,31 für die Nächstenliebe) zurückführen. Die wörtliche Auslegung der einen Stelle (z. B. Mk 12,31) macht damit die wörtliche Auslegung einer anderen Stelle (z. B. Ps 137,9) unmöglich. 3. Des Weiteren gibt es bestimmte Textgattungen in der Bibel, die sich gegen eine wörtliche Auslegung verwehren, wie z. B. Gleich- nisse. Hugo von Sankt Viktor scheint sich dessen bewusst zu sein. Er stellt fest, dass es bestimmte Stellen in der Heiligen Schrift gibt, „die nicht im wörtlichen Sinn gelesen werden können und die man mit kluger Unterscheidung sorgfältig untersuchen muss, Warum werden bestimmte Stellen allegorisch ausgelegt?
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:1
Title
Limina
Subtitle
Grazer theologische Perspektiven
Volume
4:1
Editor
Karl Franzens University Graz
Date
2021
Language
German
License
CC BY 4.0
Size
21.4 x 30.1 cm
Pages
224
Categories
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