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Irmtraud Fischer | Das Exodus-Paradigma
Menschen zu vernichten. Rakover gehört zu den Verteidigern des Ghettos
und schreibt sein Vermächtnis, welches in dieser Situation der ultimativen
Bedrängnis in einem Bekenntnis gipfelt: Ich bin stolz, dass mein Gott ein
Gott der Rache ist. Stephan Wyss (1984) hatte damals in seinem – immer
noch aktuellen – Buch über das Fluchen festgestellt, dass jene, die keine
Möglichkeit haben, sich gegen Gewalt zu wehren, auf einen gewalttäti-
gen Gott hoffen können und dies nicht nur in Rachebitten, sondern auch
im Fluch äußern können. Wer aber die Macht zur Durchsetzung seiner ge-
walttätigen Phantasien habe, dem ist das Recht zum Fluchen und vor allem
zum Vertrauen auf einen Gott, der seine Interessen mit Gewalt durchsetzt,
abzusprechen.
Zieh fort:
Migration in die Freiheit und in ein besseres Leben
Die Exoduserzählungen handeln von zweifacher Migration. Das Volk findet
sich in Ägypten, da es aufgrund einer Hungersnot in dieses klassische, weil
vom Regen in der Region unabhängige Ausweichland für Hungerflüchtlin-
ge zog (vgl. Gen 12,10ff.; 42,1f.; 43,1f.; 46,1–27). Israel kam also als Wirt-
schaftsflĂĽchtling ins Land am Nil und will es als politischer FlĂĽchtling, der
ums nackte Überleben kämpft, wieder verlassen.
Von Migration, auch als Befreiung aus bedrückenden Lebensumständen,
erzählt das Erste Testament sehr oft.10 So zieht Abraham in ein Land, das
ihm gehören soll (Gen 12,1–4), Rebekka migriert aufgrund von Heirat, die
Frau von Schunem (2 Kön 8,1–6), wie in der Genesis Abraham und Sara
(Gen 12,10–20) sowie Isaak und Rebekka (26,1–3) und die gesamte Jakobs-
sippe in der Josefserzählung, aufgrund von Hungersnöten. Ähnliches wird
von Elija in 1 Kön 17,8–24 erzählt, der nach Sarepta geht und dort von einer
Witwe versorgt wird. Der Mangel an Brot ist auch der Auswanderungsgrund
für Noomi und ihre Familie (Rut 1,1–4), die Rückkehr in ihr Herkunftsland
wird durch das Ende der Hungersnot motiviert, was wiederum die Migra-
tion von Rut aufgrund einer Lebensbeziehung, von der sie nicht lassen will
(Rut 1,16f.), bedingt. Aber man flieht auch wegen Lebensbedrohung aus Is-
rael: Jerobeam, der spätere König des Nordreichs, findet in Ägypten Asyl
10 Einen Ăśberblick ĂĽber die Migra-
tionstexte des ATs in ihrer Relevanz
heute bietet Polak 2017.
Israel kam als WirtschaftsflĂĽchtling ins Land am Nil
und will es als politischer FlĂĽchtling wieder verlassen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven