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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
das Leben vermittelt, weil es im auferstandenen Gekreuzigten seinen Ort
findet, kann Paulus an dieser Stelle schreiben, dass es das Gesetz ist, das
befreit – vom Gesetz, sofern es verführt und verurteilt. Der Sache nach liegt
eine genaue Parallele zu Röm 6,18 und 6,22 vor: Gott befreit. Allerdings wird
hier das Medium genannt: das Gesetz – nicht aus sich, sondern aufgrund
des Heiligen Geistes, der „in Christus“ das Leben schenkt. Die Befreiung
ist nötig, nach Röm 8 wie nach der gesamten paulinischen Theologie, weil
Menschen in Unfreiheit leben; sie ist möglich, weil der Geist das Leben der
Menschen von Grund auf erneuert.
Die christologische Begründung, die direkt folgt, rekurriert auf die Inkar-
nation des Sohnes Gottes, den Gott gesandt hat, um die Menschen gerade
dort zu retten, wo sie im Unheil stecken (Röm 8,3). Zugleich macht Paulus
deutlich, was für ihn Geistesfreiheit ist: Der Heilige Geist öffnet die Men-
schen für die Welt Gottes und weitet damit den Horizont ihres Denkens, ih-
res Fühlens und Betens; dadurch wächst ihre Freiheit: nicht nur ihre Mög-
lichkeit, sondern ihre Lebenswirklichkeit.
Die Ethik, die in dieser Befreiung angelegt ist, skizziert Paulus mit dem
Kontrast zwischen „Fleisch“ und „Geist“ (Röm 8,5–13): einer Selbstbe-
züglichkeit, die sich durch die Reduktion des Lebens auf die Bedürfnisbe-
friedigung reduziert und deshalb der Gier verschreibt, und einer Offenheit
für Gott und den Nächsten, die vom Geist verbunden werden.
Dieser Ethik des Geistes, die der Freiheit zum Ausdruck verhilft, entspricht
eine Spiritualität, die der ganzen Schöpfung eingedenk ist und im Gebet
(Löhr 2009) ebenso die Freiheit des Glaubens zum Ausdruck bringt wie die
Nächstenliebe. Paulus setzt wie in Röm 6 so an, dass er Knechtschaft und
Freiheit kontrastiert:
„Ihr habt ja nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, der wieder
Angst macht, sondern ihr habt empfangen den Geist der Sohnschaft, in
dem wir rufen: ‚Abba, Vater‘“ (Röm 8,15).
Wie in der Parallele Gal 4,6–8, wo gleichfalls das aramäische „Abba“ steht,
kommt im Gebet der Status der Gläubigen als „Sohn“ Gottes zum Ausdruck,
d. h. als erbberechtigte Vollmitglieder des Hauses Gottes, als Brüder – und
Schwestern – Jesu Christi, des Sohnes Gottes.
Befreiung ist nötig, weil Menschen in Unfreiheit leben,
und sie ist möglich, weil der Geist das Leben erneuert.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven