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Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt
das Böse zu tun / le mal est cette captivité antérieure qui fait que je ne peux
pas ne pas faire le mal“, ja dass mit dem Vermögen der Freiheit zugleich
ein Unvermögen einhergeht, also neben deren Vermögen auch „die Unfrei-
heit der Freiheit / la non-liberté de la liberté“ zu konstatieren ist. (Ricœur
1974a, 278/426)
Damit ist die Schwelle zwischen Freiheit im Allgemeinen und deren reli-
giöser Dimension erreicht. Denn philosophisch kommt man mit den eben
vorgestellten ethischen Überlegungen zwar an den Anfang der Reflexio-
nen über das allgemeine und unverfügbare Böse, ohne die Freiheit nicht
zu denken ist, aber nicht an deren Ende. (Ricœur 1974a, 282/429f.) Um
Freiheit religiös denken zu können, muss man sie gerade bis zu deren Ende
denken, was bedeutet, sie im Rahmen einer Hoffnungskonzeption neu zu
verstehen. Ricœur hält für den religiösen Umgang mit Freiheit fest: „Die
Religion, so scheint mir, unterscheidet sich darin von der Moral, daß sie
verlangt, die Freiheit selbst im Zeichen der Hoffnung zu denken. / Il me
semble que la religion se distingue de la morale en ce qu’elle demande de
penser la liberté elle-même sous le signe de l’espérance.“ (Ricœur 1974a,
279/427)
Religiöse Freiheit setzt die Möglichkeit einer Zukunft voraus, die jenseits
ihrer Verfügung liegt. Trotz der menschlichen Sterblichkeit und des Todes
hofft solche Freiheit auf Gott, der den Möglichkeitsraum ausfüllt, welcher
der menschlichen Freiheit zwar vor Augen steht, von ihr aber nicht ge-
staltet werden kann. Mit der „unergründliche[n] Disposition der Freiheit,
wodurch diese sich [für sich] selbst unverfügbar macht / une disposition
insondable de la liberté qui la rend indisponible à elle-même“, ist – aus
religiöser Sicht – eine „Logik der Hoffnung / logique de lʼespérance“ ver-
bunden, die zugleich eine „Logik der Überfülle / logique de la surabon-
dance“ ist. (Ricœur 1974a, 280/428) Zu Recht betont Ricœur, dass gemäß
solcher Hoffnung der Freiheit mehr gegeben wird, als sie selbst einzuho-
len vermag. Wenn sich Freiheit zu einer derartigen „Ökonomie der Fülle /
économie de la surabondance“ (Ricœur 1974a, 280/428) zugehörig weiß,
ist philosophisch vorbereitet, was nur mehr religiös einzulösen ist.
Umgekehrt wird die Doppelnatur der Freiheit religiös mitunter auch nar-
rativ ausgestaltet und systematisch thematisiert. Die christliche Lehre
von der Ursünde z.B. gibt vom Bösen als „einer Art Unwillentliche[m] im
Kern des Willentlichen selbst / une sorte d’involontaire au sein même de
„Logik der Hoffnung“ und zugleich „Logik der Überfülle“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven