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Hildegard Wustmans | Missbrauch – die Verspottung der Freiheit
Im September 2018 wurde die MHG-Studie1 zum Forschungsprojekt Sexu-
eller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und
männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz ver-
öffentlicht und seither ist die deutsche katholische Kirche massiv unter
Druck geraten. Und das wortwörtlich schon vor der Veröffentlichung, als
erste Informationen „durchgestochen“ worden sind. Seit der Veröffent-
lichung werden Stimmen, die deutliche Veränderungen im System Kirche
fordern, lauter und sie verklingen nicht. Zudem zeigt sich mit der Zeit ein
weiterer und bislang vernachlässigter Bereich im Kontext von Missbrauch
in der katholischen Kirche – der spirituelle Missbrauch. Dabei lassen sich
leicht Verbindungen zwischen diesen Formen des Missbrauchs herstellen.
Dem sexuellen Missbrauch geht vielfach spiritueller Missbrauch voran. Er
findet zumeist im Kontext von geistlicher Begleitung, in Ordensgemein-
schaften und geistlichen Bewegungen statt. Zwischen beiden Formen des
Missbrauchs gibt es Überlappungen und die Wirkungen bei Betroffenen
sind gleichermaßen zerstörerisch. (Vgl. Mertes 2018, 36) Es sind Erfahrun-
gen von Demütigung, Missachtung, Entwürdigung und letztlich Freiheits-
raub, die Menschen zersetzen und auch Menschenleben kosten. Betroffene
finden ohne Hilfe von außen kaum einen Ausweg aus diesen ruinösen Be-
ziehungen und vielfach erst spät Worte für das, was ihnen angetan wurde.
(Vgl. Wagner 2014, 172) Die Verarbeitungsprozesse brauchen Zeit.
Wer Missbrauch in der katholischen Kirche verschweigt, verschleppt, ver-
tuscht und durch Versetzungen weiter befördert, macht sich mitschuldig
und verhöhnt den menschenfreundlichen Gott, an den Christ*innen glau-
ben und auf den sie hoffen. Zugleich wird im Zusammenhang mit spiritu-
ellem und sexuellem Missbrauch das Freiheitsversprechen des christlichen
Glaubens verspottet. Die nachfolgenden Ausführungen wollen das Phäno-
men des spirituellen Missbrauchs beschreiben, dahinterstehende Muster
in den Blick nehmen und schließlich danach fragen, wie pastoral und or-
ganisational darauf zu antworten ist, um Übergriffe so gut es geht zu ver-
hindern.
Am Beginn stehen freundliche Menschen,
oder: Missbrauch ist immer eine Beziehungstat
Im Rahmen einer Konferenz unter der Überschrift „Geist und Macht –
zwei Facetten von Kirche und Pastoral“ mit hauptamtlichen pastoralen
Mitarbeiter*innen aus territorialen und kategorialen Arbeitsbereichen
1 https://www.dbk.de/fileadmin/
redaktion/diverse_downloads/dos-
siers_2018/MHG-Studie-gesamt.
pdf [14. Februar 2019].
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven