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Karl Farmer | Warum handelspolitischer Protektionismus wieder politikmächtig
und wirtschaftliche Freiheit zum Phantom wurden
Im Unterschied dazu hat sich in den 1980er-Jahren die US-Bevölkerung
nur mit einkommensschwach oder einkommensstark identifiziert, die an-
deren beiden Identifikationsdimensionen waren nur latent. Als der Kon-
flikt über die kulturelle Dimension in den 1990er-Jahren manifest wurde,
hat das die Übernahme neuer kultureller Identitäten begünstigt. Das hat
insgesamt die gesellschaftliche Polarisierung beschleunigt, weil Kultur ihrer
Natur nach breite Bereiche umfasst. Das und die schärfere Importkonkur-
renz aus China hat auch den Konflikt zwischen Gewinnern und Verlierern
offener Grenzen verschärft und neue Identitäten in Bezug auf Wohnort und
Beschäftigungssektor entstehen lassen, die mit der Wertschätzung für lokale
Orte und Regionen korreliert sind.
Zum Schluss: Sozialer Konservatismus und handelspolitische Protektion
aus naturrechtlich-wirtschaftsliberaler Sicht
Der Abtausch materiellen gegen psychosozialen Nutzengewinn und die kul-
turelle Prädisposition für lokale „Gemeinschaftswerte“ machen verständ-
lich, warum nach einer Phase gesellschafts- und außenhandelspolitischen
Liberalismus’ sozialer Konservatismus und außenhandelspolitische Protek-
tion politikmächtig wurden. Offen bleibt jedoch die Frage, ob die weißen,
evangelikalen Christen, die zu über 80 Prozent Trump wählten, der für
konservativ-christliche Gesellschaftspolitik und außenwirtschaftliche
Protektion auftrat, ihre Stimme nur zur Stärkung ihres Selbstwertes, wie
bisher suggeriert, abgegeben haben. Vermutlich haben sie auch für Trump
und gegen Clinton gestimmt, damit in der politischen Arena jemand für
höchste moralische Güter wie z.
B. das Recht auf Leben von der Empfängnis
bis zum natürlichen Tod eintritt. Dabei handelt es sich nicht nur um einen
lokalen Gemeinschaftswert, sondern nach dem Naturrecht um einen uni-
versalen Wert, der mit der Natur und der Würde jedes Menschen (auch des
Ungeborenen) untrennbar verknüpft ist. Es gibt also Güter, die auch einem
psychosozial erweiterten Nutzenkalkül nicht unterworfen werden dürfen. Zur
Einsicht in die Unverletzlichkeit menschlichen Lebens von der Empfängnis
bis zum natürlichen Tod sind Christinnen und Christen vermutlich leichter
fähig als Nicht-Christen, aber nach der Naturrechtslehre sind alle Men-
schen befähigt, „of distinguishing reasonable and unreasonable choices
and better and worse value judgements“ (Mahoney 2003, 560).
Wenn dies zutrifft, ist es wohl nicht ganz aus der Luft geholt zu vermuten,
dass der typische Trump-Wähler auch gegen eine wirtschaftliche Freiheit
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 2:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 2:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 267
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven