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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
resultierenden Verhaltensweisen, während die zusätzliche, höherstufige
Fähigkeit, sich auf diese Zustände bewusst beziehen zu können, fehlt. Vie-
le Tiere verfügen zweifelsohne über rudimentäres Bewusstsein, aber es ist
Gegenstand hitziger Diskussionen, ob es auch Tiere gibt, denen die kom-
plexere Form robusten Bewusstseins zugeschrieben werden kann (siehe
z. B. Rowlands 2016) und ob daher auch gewissen Tieren Personenstatus
zugesprochen werden soll.
Die zweite Grundoption besagt hingegen, dass Menschen wesentlich Orga-
nismen sind. Folglich zeichnen sich Menschen grundlegend dadurch aus,
dass sie biologisch verfasste Lebewesen sind, die – so wie alle anderen
(höher stufigen) Lebewesen auch – über entsprechende Stoffwechselpro-
zesse verfĂĽgen (vgl. Olson 1997). Unter metaphysischer RĂĽcksicht unter-
scheiden wir uns folglich nicht von anderen Lebewesen. Dies bedeutet
nicht, dass der Unterschied zwischen Menschen, die dank der Ausbildung
eines robusten Bewusstseins über vielerlei Fähigkeiten verfügen, die wir
bei anderen Lebe
wesen nicht in dieser Komplexität beobachten können,
eingeebnet oder als unbedeutend erachtet werden soll. Das, was gemeinhin
als personale Lebensform umschrieben wird, unterscheidet den Menschen
in kultureller, sozialer, moralischer oder rechtlicher Hinsicht auf grund-
legende Weise von anderen Lebewesen, aber – so die These – diese Unter-
schiede gehen nicht mit identitätstheoretisch-metaphysischen Implika-
tionen einher.
Mit der jeweiligen metaphysischen Grundbestimmung des Menschen geht
die Frage nach den Bedingungen für Identität in der Zeit einher. Wer zur ers-
ten Grundoption neigt, wird unsere Identität in der Zeit bewusstseinstheo-
retisch bzw. psychologisch bestimmen: Als menschliche Personen bedĂĽr-
fen wir eines robusten Bewusstseins und, solange uns ein solches robustes
Bewusstsein gegeben und in der Lage ist, neue mentale Zustände hervor-
zubringen, die mit den bisherigen mentalen Zuständen auf hinreichend
starke Weise verknĂĽpft sind, existieren wir als Person in der Zeit fort. Wer
hingegen zur zweiten Grundoption neigt, wird auf biologische Prozesse
verweisen, welche das Leben des menschlichen Organismus bis zum Tod
aufrechterhalten. Verliert jemand sein Bewusstsein und ist damit nicht
mehr in der Lage, an personalen LebensvollzĂĽgen aktiv teilnehmen zu
können, so folgt aus dieser Option, dass sich dieser existentiell gravierende
Ist der Mensch wesentlich Person
oder wesentlich Organismus?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven