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Ulvi Karagedik | Ansätze für eine islamische Speiseethik gemäß den islamischen Primärquellen Koran und Hadith
1 Einleitung
Die rudimentäre Vorstellung von der islamischen Speiseethik ist von zwei
Begriffen geprägt: Erlaubtem (ḥalāl) und Verbotenem (ḥarām). Dabei wer-
den muslimische Essenskriterien leider viel zu oft nur in Verbindung mit
dem Verzehr von Fleisch oder tierischen Produkten gesehen. Der inhalt-
liche und juridische Regelkatalog islamischer Speisevorschriften reicht je-
doch viel weiter und umfasst etwa Gottesdienste, Ressourcennutzung und
medizinische Aspekte. Es existieren rechtliche Kategorien, die weit über die
simplen Begriffe ḥalāl und ḥarām hinausreichen, wie erwünscht (mandūb,
mustaḥabb) oder verpönt (makrūh) sowie weitere Unterkategorien, wobei
all diese Etiketten jeweils nur eine äußere Hülle komplexer Prinzipien dar-
stellen.
Der ethische Sinn hinter den islamischen Speiseregeln kann nochmals weit
tiefgehender ausdifferenziert werden, das wird leider aber viel zu oft – auch
von der breiten Masse der Muslim:innen – nicht gesehen. Davon zeugt zu-
mindest der diskursdominierende Stellenwert von Ḥalāl-Zertifikaten (vgl.
Gepp/Karagedik 2016), welcher muslimische Nahrungsprinzipien und Res-
sourcen auf eine Anzahl von erlaubten Speisen zu reduzieren scheint und
jegliche darüber hinausgehende Fragestellungen obsolet erscheinen lässt.
Zum Rahmen islamisch-speiseethischer Vorschriften
Schon die hermeneutische Botschaft, welche die breite Existenz von Ḥalāl-
Zertifikaten mit sich bringt, ist eine falsche: Es entsteht der Eindruck, als
sei jeglicher Nahrungskonsum für Muslim:innen verboten, mit Ausnahme
jener Produkte, die als ḥalāl gekennzeichnet sind. Dabei geht der ursprüng-
liche Duktus genau in die umgekehrte Richtung. Unerlaubtes wurde durch
die Primärquellen explizit definiert und ist somit begrenzt (vgl. Koran, 5: 4;
22: 30), alles Undefinierte wurde dagegen erlaubt: „Unerlaubt ist, was Allah
in seinem Buch für unerlaubt erklärt hat, und worüber Er geschwiegen hat;
dass gehört zu dem, wofür Er sich Eurer erbarmt“ (At-Tirmiḏī: libās, 1726;
3; Ibn Māğa: ʾaṭʿima, 3367; 117).1 Allein aus diesem Grund heraus wäre es
eigentlich adäquater, mit Ḥarām- als mit Ḥalāl-Zertifikaten zu operieren.
Viel relevanter als die Klärung äußerer Kategorisierungen erscheint jedoch
die Frage, wie sich der Begriff der Speise im Islam definiert und welche
Viel mehr als ḥalāl und ḥarām
1 Hadith-Zitationen in diesem Bei-
trag sind Eigenübersetzungen des
Autors und werden nach folgendem
Schema angegeben: Autor der Ha-
dith-Sammlung: Hauptkapitel, Ha-
dith-Nummerierungen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven