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Ulvi Karagedik | Ansätze für eine islamische Speiseethik gemäß den islamischen Primärquellen Koran und Hadith
3.4 Die Untersagung der Ressourcenvergeudung
Der Koran lehrt, in Maßen zu speisen, zu trinken und dabei nicht ver-
schwenderisch zu sein („[E]sst und trinkt, aber seid nicht maßlos! Er liebt
nicht die Maßlosen“, Koran, 7: 31). Das Verbot von Maßlosigkeit kann zum
Schutz der Gesundheit verstanden, in Richtung der Wertschätzung ausge-
legt oder auch ökonomisch gedeutet werden. So verbraucht die Menschheit
derzeit in einem Jahr doppelt so viele Ressourcen, wie die Erde in derselben
Zeit erneuern kann (vgl. Umwelt Bundesamt 2020).
Hochrechnungen zufolge wurden zwischen 2016 und 2017 allein in
Deutschland 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel (mit einem Gesamtwert
von rund 6 Milliarden Euro) weggeworfen, von denen die befragten Haus-
halte selbst 44 Prozent für vermeidbar erachteten (vgl. Schmidt/Schnei-
der/Claupein 2018). Werden die Lebensmittelabfälle sowie die vermeidbare
Verschwendung in der Lebensmittelproduktion und im Lebensmittelver-
kauf dazugerechnet, dürfte sich der reale Sachwert um ein Vielfaches er-
höhen. Wenn andererseits bedacht wird, dass die Anzahl Hungerleidender
derzeit auf 690 Millionen Menschen geschätzt wird (vgl. Laborde/Parent/
Smaller 2021), kommt nicht nur das enorme Ungleichgewicht in der welt-
weiten Verteilung von Gütern zutage, sondern man erkennt auch das Ein-
spar- und Unterstützungspotenzial, das beispielsweise durch bedarfsori-
entiertes Einkaufen und Hauswirtschaften realisiert werden kann.
Aus islamisch-speiseethischer Sicht sind zur Reduktion von Ressourcen-
vergeudung Foodsharing-Programme oder Tafelspenden von Supermärk-
ten dringend zu befürworten. Die Weitergabe schwer verkäuflicher, nicht
mehr tagesfrischer und dennoch guten Gewissens verzehrbarer Speisen
sollte in diesem Sinne genauso infrage kommen wie die kritische Prüfung
des Umgangs mit Mindesthaltbarkeitsdaten.
Der wichtigste Ressourcenfaktor betrifft die elementarste aller Ressourcen,
die zugleich Grundlage für die Erzeugung sämtlicher weiterer Lebensmittel
ist, nämlich das Wasser. Dem islamischen Propheten war dieser Umstand
in seiner Lebenswelt (dem arabischen Wüstenumfeld im siebten Jahrhun-
dert) bewusst, wie eine Überlieferung eindrücklich vermittelt:
„Der Gesandte Allahs (Friede und Segen sei mit Ihm) ging an Sa‘d vorbei,
als er die (rituelle) Waschung vollzog, und er sagte: Was ist das für eine
Extravaganz? Dieser erwiderte: ‚Kann beim Vollzug der Gebetswaschung
denn von Verschwendung die Rede sein? Der Prophet sagte ‚Ja, selbst
wenn du dich am Ufer eines fließenden Flusses befindest.‘“ (Ibn Māğa:
Ṭahāra, 159; 425; 460)
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven