Page - 95 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
Image of the Page - 95 -
Text of the Page - 95 -
93 | www.limina-graz.eu
Claudia D. Bergmann | Allein am Tisch?
halb sind auch alle Texte ĂŒber MĂ€hler, die sich in der HebrĂ€ischen Bibel und
in der mit ihr verwandten auĂerbiblischen Literatur befinden, zum einen als
mögliche Verweise auf tatsÀchlich stattgefunden habendes Alltagsspeisen,
als ein Blick in lived ancient religion, zu verstehen, vor allem aber als Texte
mit einem bestimmten Ziel. Sie sollen ĂŒber die Gemeinschaft informieren,
die diese Mahlhandlungen (der Legende nach) zu einem bestimmten Zweck
vorgenommen hat, wie sich die Gemeinschaft etabliert, entwickelt und in
Auseinandersetzungen mit der Gottheit und mit anderen Gemeinschaf-
ten bewÀhrt hat. Dabei ist der Bezug zu einem tatsÀchlich stattgefundenen
Mahlgeschehen zweitrangig. Im Mittelpunkt steht die Absicht des Autors,
das rituelle Mahl als eine Art literarischen Katalysator zu nutzen, der Ge-
meinschaften definiert und deren VerÀnderungen beschreibt.
2 Mahlrituale in der HebrÀischen Bibel
Wie wichtig rituelle MĂ€hler fĂŒr die Autor:innen der Texte waren, die in die
HebrÀische Bibel eingeflossen sind, kann hier nur angerissen werden (sie-
he zum Ganzen Bergmann 2019; Bergmann 2016b). Die hebrÀische Wurzel
ŚŚŚ (âessenâ) kommt fast tausend Mal im masoretischen Text vor und wird
semantisch vielfÀltig genutzt. Mahlberichte, Mahlmetaphern und Mahl-
terminologie dienen den verschiedensten Zwecken. Zum einen beschreiben
sie natĂŒrlich eine Handlung zum menschlichen Lebenserhalt, zum ande-
ren betonen sie aber auch, dass es die Gottheit ist, die die Menschen durch
Nahrungsmittelgabe am Leben erhÀlt oder durch deren Entzug Leben be-
grenzt. DafĂŒr gibt es vielfĂ€ltige biblische Beispiele, die sich in Narrativen
wie dem von der Speisung in der WĂŒste (Ex 16) niederschlagen, in Sinnbil-
dern wie dem vom verheiĂenen Land, in dem Milch und Honig flieĂen, oder
auch in poe
tischer Form, so u. a. im vielzitierten Ps 145,15: âDie Augen aller
schauen erwartungsvoll auf dich und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten
Zeit.â (Ăbersetzung: C. B.)
MÀhler waren im alten Israel Bestandteil religiösen Opferns und Kommu-
nikationsmittel, die die Verbindung zum Göttlichen herstellen sollten. Im
Buch Deuteronomium wird ein System von FestmÀhlern am zentralen Hei-
ligtum vorgestellt, das in einer Art Festkalender an die rettenden Taten der
MĂ€hler waren im alten Israel Kommunikationsmittel,
die die Verbindung zum Göttlichen herstellen sollten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven