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Claudia D. Bergmann | Allein am Tisch?
hin. Darin gleichen die apokalyptischen jüdischen Texte dieser Zeit vielen
utopischen Entwürfen aus anderen Kulturen und Kontexten.
Diese utopischen Entwürfe, die kein reales oder geschichtlich stattgefun-
den habendes / stattfindendes Mahl beschreiben, sondern ideales und zu-
künftiges Mahlgeschehen entwerfen, zeugen vom symbolischen Potential,
das man im Vorgang der menschlichen Nahrungsaufnahme sah und in dem
sich in besonderer Weise Natur, Kultur und ideale Sozialität vereinen. Nie
war es eine Option, die identitätsgestaltenden Gemeinschaftsmähler zu
beenden oder auszusetzen, selbst wenn geschichtliche und religiöse Um-
stände gemeinsames Mahlhalten unmöglich machten. Stattdessen wurden
sie in einen imaginierten Raum verlegt und in literarischen Entwürfen (ge-
dankliche) Wirklichkeit.
b) Modernes Judentum: Mahlrituale zu Pessach 2020/578017
Historischer und gesellschaftlicher Kontext
Die Pandemie, die sich ab 2020 über die ganze Welt verbreitete, brach-
te eine Reihe von Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich, von
denen sich einige auch auf die Durchführung von Gemeinschaftsritualen
auswirkten. In Israel wurde am 9. März 2020 ein allgemeiner Lockdown
eingeführt, der später so verschärft wurde, dass sich nicht mehr als zwei
Menschen treffen konnten. Beerdigungen und Beschneidungszeremonien
waren davon ausgenommen, jedoch schlossen alle Synagogen. Auch in den
USA und in den meisten anderen Ländern wurden Quarantäneregelungen
eingeführt, religiöse Feiern untersagt oder eingeschränkt. Im Frühjahr
2020 mussten daher fast überall die hohen religiösen Feiertage, so das ira-
nische Neujahrsfest, das jüdische Pessachfest, die christlichen Osterfeiern
und Ramadan im Islam, unter anderen hygienischen und rituellen Bedin-
gungen stattfinden.
Auszüge aus dem Gedicht „Passover 5780“ zeigen die Stimmung auf, in der
Pessach 2020/5780 gefeiert wurde:
In den frühjüdischen Texten werden Essen und Trinken
Symbole des ersehnten und verheißenen Lebens schlechthin.
17 Ich danke Judith Frishman,
Laura Lieber und Adi Sherzer für
die vielen Literaturhinweise, die in
diesen Abschnitt eingeflossen sind.
Ein Dank geht auch an Andi Walther,
kenntnisreicher Wortkünstler und
geschätzter Diskussionspartner, für
ein erstes Gegenlesen des gesamten
Beitrags.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven