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Agnethe Siquans | „Die Speise des Wortes Gottes essen“
1 Origenes’ Verständnis des Wortes Gottes in der Heiligen Schrift
„Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Pflanzen für den Ackerbau des
Menschen, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz
des Menschen erfreut, damit er das Angesicht erglänzen lässt mit Öl und
Brot das Herz des Menschen stärkt.“ (Ps 104,14f.)1
Essen und Trinken spielen in vielen biblischen Texten eine Rolle. Dabei
geht es nicht nur um notwendige Nahrung, sondern auch um Mahlzeiten,
und bestimmte Nahrungsmittel oder Getränke haben symbolische Bedeu-
tung. AuĂźerdem kommt dem gemeinsamen Essen auch eine wichtige so-
ziale Bedeutung zu (vgl. WeiĂźflog 2010). In Ps 104 wird Gott fĂĽr Brot, das
häufig idealtypisch für Nahrung verwendet wird, und Öl als grundlegende
Bestandteile der Nahrung, aber auch fĂĽr den Wein, der der Freude dient,
gepriesen. Schon das Deuteronomium weiĂź aber, dass Menschen nicht nur
vom Brot leben, sondern „von allem, was aus dem Mund JHWHs hervor-
geht“ (Dtn 8,3; zitiert in Mt 4,4; Lk 4,4). Brot ist essentiell für das Über-
leben, aber es ist nicht alles. Gottes Wort, die Tora, ist das, was Menschen
wirklich zum Leben verhilft. Das Hören auf dieses Wort ist nicht weniger
bedeutend als das Essen von Brot.
Das weiß auch Origenes. Seine Zuhörer/innen zum Hören auf das Wort
Gottes, in dem sich letztlich der Logos Jesus Christus verbirgt, zu moti-
vieren, ist das zentrale Anliegen seiner Homilien. Die Heilige Schrift aus
Altem und Neuem Testament ist vom Geist Gottes inspiriert und enthält
göttliche Lehre, die die Leser/innen zu Christus und zu einem spirituellen
Leben hinfĂĽhren soll. Die Schrift, richtig verstanden, ist Orientierung auf
dem Weg der Seele zur Vollkommenheit (vgl. Torjesen 1986). Auch im Al-
ten Testament sieht Origenes die Präsenz des Logos Christus. Es enthält
„Bilder“ und „Schatten“ (vgl. Hebr 8,5; 10,1; 1 Kor 10,6.11; Kol 2,7), die auf
die Wahrheit in Christus vorausweisen. Christus als Logos ist somit fĂĽr ihn
der SchlĂĽssel fĂĽr ein richtiges, das heiĂźt fĂĽr ihn ein christliches und spi-
rituelles Verständnis des Alten Testaments. Christus ist in diesen Worten
gegenwärtig, er ist aber ebenso der Lehrer, der den Gläubigen den wahren,
spirituellen Sinn der Schrift erschlieĂźt.
„[D]ie Schrift enthält grundlegend nur zwei Bedeutungen: die buchstäb-
liche und die geistliche, und auch diese beiden bilden eine Kontinuität
Brot ist essentiell fĂĽr das Ăśberleben, aber es ist nicht alles.
1 Die Bibelzitate in diesem Beitrag
stammen aus der EinheitsĂĽberset-
zung 2016.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven