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Agnethe Siquans | „Die Speise des Wortes Gottes essen“
bis zur Sättigung essen.‘ (Lev. 26,5) Ähnliches verkündet auch Salomo
in den Sprichwörtern über den Gerechten, indem er sagt: ‚Der Gerech-
te wird durch Essen seine Seele erfüllen; die Seelen der Gottlosen aber
werden Mangel leiden.‘ (Spr. 13,25) Wenn du das nach dem Buchstaben
auffasst: ‚Der Gerechte wird durch Essen seine Seele erfüllen; die See-
len der Gottlosen aber werden Mangel leiden‘ (Spr. 13,25), wird es als
falsch erscheinen. Denn eher nehmen die Seelen der Gottlosen die Speise
mit Gier zu sich und streben nach Sättigung; die Gerechten aber hungern
mitunter auch. Schließlich war Paulus ein Gerechter und sagte: ‚Bis zu
dieser Stunde hungern und dürsten wir und sind nackt und werden mit
Faustschlägen geschlagen.‘ (1 Kor. 4,11) Und wiederum sagt er: ‚in Hun-
ger und Durst, in häufigem Fasten‘. (2 Kor. 11,27) Und wieso sagt Salomo:
‚Der Gerechte wird durch Essen seine Seele erfüllen?‘ (Spr. 13,25) Wenn
du jedoch betrachtest, wie der Gerechte immer und ohne Unterbrechung
vom lebendigen Brot isst und seine Seele erfüllt und sie mit der himm-
lischen Speise sättigt, die das Wort Gottes und seine Weisheit ist, wirst du
finden, wie aus dem Segen Gottes der Gerechte sein Brot bis zur Sättigung
isst.“ (in Lev. hom. 16,5)
Die Erfahrung zeigt, dass es den Frommen oft schlechter geht als den Frev-
lern. Dieser Befund wird durch Rekurs auf Salomo (Spr) und Paulus bestä-
tigt. Daher kann der Segen von Lev 26,5 nicht im materiellen Sinn gemeint
sein – das wäre Gottes nicht würdig –, sondern verlangt eine Interpreta-
tion auf geistiger Ebene. „So werden die dunklen Textstellen zu bevorzug-
ten Instrumenten der Offenbarung.“ (Vogt 1983, 17–18) Für die spirituelle
Deutung des Brotes greift Origenes auf das Neue Testament zurück. In der
johanneischen Brotrede bezeichnet Jesus sich selbst als Brot. Das verbindet
Origenes mit dem Johannesprolog (Joh 1,1), in dem Jesus als der Logos Got-
tes präsentiert wird. So deutet er die Verheißung des Brotes auf Jesus, das
Wort Gottes. Wer dieses Wort zu sich nimmt, erlangt Sättigung, die als see-
lische Erfüllung verstanden wird. Zentrale Methode der Textauslegung ist
hier, wie häufig bei Origenes, die Verknüpfung mehrerer Schriftstellen aus
Altem und Neuem Testament, die zusammen seine Argumentation unter-
mauern.
Das Opferfleisch als Bild der Schrift und der Lehre
Die Opfer in Levitikus bezieht Origenes im Gefolge des Hebräerbriefes
grundsätzlich auf das Opfer Christi.6 Wer das „Fleisch Christi“ berührt,
wird geheiligt. Das Berühren des „Fleisches Christi“ aber meint die Be-
schäftigung mit dem geistigen Sinn des Wortes der Schrift:
6 Vgl. in Lev. hom. 4,8: „Daher ist
als das eine und vollkommene Op-
fer, für das alle diese Opfer im Typus
und im Bild vorausgegangen wa-
ren, Christus geopfert worden.“ Zu
weiteren Deutungen der Opfer vgl.
Siquans 2021, Einleitung I.5.2.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven