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Dilek Bozkaya und Alfred Garcia Sobreira-Majer | Interreligiöses Lernen am Buffet
an Anstoß nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann
sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung brin-
gen.“ (Zwingli 1995 [1522], 39.62)
Damit kommt ein Gedanke ins Spiel, der im Zusammenhang mit Speisen
und gemeinschaftlichem Essen wichtig ist, und den der Apostel Paulus in
seinen Briefen (Röm 14; 1. Kor 8, 4-13) entfaltet hat: Auch wenn ein Christ
bzw. eine Christin frei ist, dass er oder sie alles essen darf, selbst – zur Zeit
des Paulus – vom Fleisch, das vom Opfer an fremde Götter übrig geblie-
ben und am Markt verkauft worden war (Götzenopferfleisch), kann er mit
Rücksicht auf andere auf diese Freiheit verzichten, um den anderen nicht
zu verunsichern oder Anstoß zu bereiten. Auch das könnte eine Anregung
für das Verhalten am interreligiösen Buffet sein.
Nicht ans Kirchenjahr gebunden: die „Klostersuppe“
Eine Speise, die bei der Verkostung von religiös konnotierten Speisen nicht
fehlen sollte, ist die „Klostersuppe“, auch wenn sie heute wohl nicht mehr
unter dieser Bezeichnung ausgeteilt wird. Sie ist – anders als die bereits ge-
nannten Speisen – an keinen Festkalender gebunden, weil sie immer gefragt
und immer notwendig war und ist. Sie geht auf die Armenfürsorge der Klös-
ter im Mittelalter zurück, die sich um Kranke, Menschen mit Behinderung
und um Arme kümmerten und dafür Hospitäler und auch Suppenküchen
führten. Die Armenspeisung galt im (katholischen) Mittelalter als eines der
sieben Werke der Barmherzigkeit und vor Gott als verdienstliches Werk.
Die Tradition der „Klostersuppe“ führen heute kirchliche Organisationen
wie die Caritas weiter, die mit zwei Bussen und mit Hilfe vieler ehrenamt-
licher Mitarbeiter:innen (darunter auch Schüler:innen) in Wien Suppe zu
bedürftigen und obdachlosen Menschen bringen. Am längsten ist der Or-
den der Elisabethinen in Wien in diesem Bereich tätig (seit 1709). Nach der
Heiligen Elisabeth von Thüringen heißt die Ausspeisung, die fast täglich
50–100 Personen nicht nur Suppe, sondern ein ganzes Menü bietet, „Eli-
sabethbrot“ (vgl. https://www.die-elisabethinen.at/aktuelles/news-de-
tail/das-elisabethbrot [28.02.2021]). Die „Klostersuppe“ schmeckt nach
Armut und christlicher Nächstenliebe. Ihre gemeinsame Zubereitung oder
auch das Miterleben einer Ausspeisung vor Ort kann sie uns nahebringen.
Die Armenspeisung als verdienstliches Werk
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven