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Isabelle Jonveaux | Transfers des Fastens
Energie zu produzieren. Etwas auch zurückhaltend leben. Also von der
Weltverantwortung.“ (06.2012)
Begründungen für oder gegen Lebensmittel orientieren sich zunehmend
auch an ernährungs- und gesundheitswissenschaftlichen Einsichten. Der
asketische Aspekt sollte nicht zu einer unausgewogenen Ernährung führen,
die die Gesundheit der Gemeinschaftsmitglieder beeinträchtigen könnte.
Ein Benediktinerkloster in der Nähe von Paris zum Beispiel war vor einigen
Jahren Gegenstand einer Ernährungsstudie, die ein benachbartes Kran-
kenhaus durchführte. Es stellte sich heraus, dass die Schwestern, die der
benediktinischen Regel des Verzichts auf Fleisch folgten, zu viele Eier aßen.
Infolgedessen führten sie dreimal pro Woche Fleisch in ihre Ernährung ein
und zeigten damit, dass die Gesundheit Vorrang vor der Askese hat. Das
oberösterreichische Benediktinerkloster Kremsmünster wiederum schal-
tete eine Ernährungsberaterin ein, die aufzeigte, dass die Gemeinschaft zu
viel Fleisch und zu wenig Gemüse aß. Nach einer Ernährungsumstellung
verfügt das Kloster nun über das Gütesiegel „Gesunde Küche“, das gesunde,
ausgewogene und regionale Küche im Rahmen eines oberösterreichischen
Programms zertifiziert. Während Mönche – im Geist der Askese und als
Widerstand gegen Normen (vgl. Michaels 2004) – gesunde Essgewohnhei-
ten bewusst ablehnen könnten, setzen sich Letztere durch, und die körper-
liche Gesundheit wird gleichsam zum Gesetz. Es ist jedoch wichtig darauf
hinzuweisen, dass Benedikt, im Gegensatz zu späteren Entwicklungen, in
den Empfehlungen seiner Regel immer auf die Gesundheit seiner Mönche
Rücksicht nimmt und „Askese weder [als] Freudlosigkeit noch [als] Raub-
bau an der eigenen Gesundheit versteht.“ (Rosenberger 2012, 191)
Die Neudefinition des Fastens im monastischen Leben ist auch mit einer
größeren Freiheit in der praktischen Ausgestaltung verbunden, besonders
während der Fastenzeit. Ein Benediktinermönch von La Pierre-qui-Vire
erzählt:
„Wir leben ein Langzeitfasten, wie z. B. die Abstinenz von Fleisch. Aber
andererseits ist es auch nicht sehr asketisch. Für einige Brüder ist es as-
ketisch, kein Fleisch zu essen.“ (05.2011)
Größere Freiheit in der praktischen
Ausgestaltung des Fastens
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven