Page - 32 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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32â â Moritz BaĂler
Handlung oder Kommunikation, sondern in Gestalt der möglichen Paradigmen
zu einem gegebenen Objekt, als Funktion des kulturellen Archivs also.
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Der hier propagierte Archivbegriff ist ein denkbar schlichter. Anders als Foucault
ist damit nicht irgend ein systemisches, ort- und trĂ€gerloses âGesetz dessen, was
gesagt werden kannâ (Foucault 1990, 186â187), kein historisches oder mediales
Apriori gemeint, sondern zunĂ€chst einmal genau jene âSumme aller Texte, die
eine Kultur als Dokumente ihrer eigenen Vergangenheit oder als Zeugnis ihrer
beibehaltenen IdentitĂ€t bewahrt hatâ (die Foucault ausdrĂŒcklich nicht meint).
Mit Boris Groys und gegen Foucault wird das Archiv einer Kultur hier also âals
real existierendes verstanden â und in diesem Sinne auch durch die Zerstörung
bedroht und deswegen endlich, exklusiv, begrenzt, so daà nicht alle möglichen
Aussagen in ihm vorformuliert gefunden werden könnenâ (Groys 1999, 179).
DafĂŒr aber die wirklichen. Und wenn man statt von Aussagen von Texten
spricht und mitbedenkt, dass Texte eine paradigmatische Achse haben, und
wenn man diese paradigmatische Achse innerhalb des Korpus, des material
gegebenen Archivs selbst ansiedelt als Summe seiner Ăquivalenzstrukturen,
dann wird die Pointe dieser Entscheidung sichtbar: Die Diskurse und die Texte
lassen sich auf ein und demselben Tableau analysieren. Damit und erst damit ist
jene von Foucault avisierte Umstellung vollzogen, die âan die Stelle des Themas
der transzendentalen BegrĂŒndung die Beschreibung der VerhĂ€ltnisse der ĂuĂer-
lichkeitâ setzt (Foucault 1990, 182). Das GlĂŒck des Positivisten liegt in der Textua-
litÀt.
Im Archiv sind die Dinge in einer Weise gespeichert, dass man auf sie zugrei-
fen kann, und zwar wiederholt. Im konkreten Falle handelt es sich dabei oft
genug um Texte im engeren Sinne, und das nicht zufÀllig, denn Texte sind ja eben
als Instrumente zur Speicherung von KontiguitÀtszusammenhÀngen mit der Mög-
lichkeit des wiederholten Zugriffs entwickelt worden. Andernfalls handelt es sich
bei den Dingen im Archiv um Texte genau in dem MaĂe, wie sie zueinander Para-
digmen bilden können. â Dieses Archiv ist die Voraussetzung, die Ausgangsbe-
dingung jeder kulturwissenschaftlichen Arbeit. Was nicht im Archiv ist, kann
kulturwissenschaftlich nicht analysiert werden. Im Unterschied zu anderen
Archiv-Begriffen (etwa dem Derridas), die ein Archiv bereits als Ergebnis einer
Auswahl, als etwas Zustandegekommenes, als Verwaltungs- und Machtinstru-
ment und darĂŒber hinaus als etwas immer schon Geordnetes, Hierarchisiertes,
mit Indices Versehenes beschreiben â was fĂŒr jedes konkrete Archiv natĂŒrlich
ebenso zutrifft wie fĂŒr jeden konkreten Text â, muss eine textualistische Kultur-
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik