Page - 59 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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Selbstzeugnisse sammelnâ â
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20. Jahrhunderts schlieĂlich ohne weiteren Forschungs-, Veröffentlichungs- oder
JubilÀumsgrund von vornherein als Sammlung eingerichtet, was wiederum als
ein Zeichen fĂŒr die Etablierung dieser Sparte gelesen werden kann. In diesem
Zusammenhang ist unbedingt noch anzumerken, dass es sich bei den Spezial-
sammlungen ausschlieĂlich um verhĂ€ltnismĂ€Ăig kleine Institutionen handelt,
was ihre finanzielle Ausstattung betrifft: Die Dokumentation lebensgeschichtlicher
Aufzeichnungen und die Sammlung FrauennachlÀsse an der UniversitÀt Wien sind
fix jeweils nur mit einer Teilzeitstelle besetzt. Der Betrieb des Tagebucharchivs in
Emmendingen wird wesentlich durch unentgeltliches Ehrenamt getragen.
Insgesamt stehen die einzelnen BestĂ€nde jedenfalls in der âTraditionâ der
oben vorgestellten âGeschichtsbewegungâ. Entsprechend stellen die hier tĂ€tigen
Personen an ihre Arbeit â gleichzeitig â jeweils zwei verschiedene AnsprĂŒche:
Der wissenschaftliche Selbstzweck ist es, Quellen zur VerfĂŒgung stellen, die
zuvor nicht systematisch gesammelt worden sind. Der gesellschaftspolitische
Selbstzweck ist es, einen institutionellen Ort fĂŒr Quellen von Personen zur VerfĂŒ-
gung zu stellen, die zuvor nicht als âbeforschenswertâ galten. Vorausgesetzt ist
dabei, dass diese Personen selbst ein Interesse daran haben. In diesem Sinne ist
diese Arbeit als âzivilgesellschaftliches Engagementâ (Gabrielli 2004, 346) zu ver-
stehen. Die dabei verfolgten Logiken und Strategien können eigensinnig sein, die
Interessenslagen sind allemal vielschichtig. Welche AkteurInnen treffen dabei
welche Entscheidungen?
3â Logiken, Strategien und Interessenslagen
bei der Zusammensetzung der BestÀnde von Sammlungen
fĂŒr Selbstzeugnisse
Der Aufbau eines Sammlungsbestandes von Selbstzeugnissen setzt Entscheidun-
gen voraus, die von verschiedenen AkteurInnen getroffen werden. Sie spielen
dabei unterschiedliche Rollen, die jeweils aufeinander angewiesen sind: Die
Schreiberinnen, Nachfahren oder sonstigen Befugten stellen Selbstzeugnisse zur
VerfĂŒgung, die Sammlungsbetreuerinnen und Archivare sammeln und verwalten
diese systematisch, die Forscherinnen und Historiker werten sie aus.
Mögliche AnlĂ€sse fĂŒr die Ăbergabe persönlicher Aufzeichnungen an eine
Sammlungseinrichtung lassen sich in den Ăbergabekorrespondenzen nachvoll-
ziehen, in denen die entsprechend Interessierten ihre GrĂŒnde oder WĂŒnsche
hĂ€ufig direkt benennen. Als besonders berĂŒhrendes Beispiel kann hier Frances
Nunnally zitiert werden. Sie wurde 1923 als Franziska Huppert in Wien geboren,
von wo sie 1939 aufgrund rassistischer Verfolgung flĂŒchten musste. Sie ĂŒberlebte
in GroĂbritannien und konnte sich spĂ€ter ein Leben in den USA aufbauen. Im
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik