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Selbstzeugnisse sammeln
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20. Jahrhunderts schließlich ohne weiteren Forschungs-, Veröffentlichungs- oder
Jubiläumsgrund von vornherein als Sammlung eingerichtet, was wiederum als
ein Zeichen für die Etablierung dieser Sparte gelesen werden kann. In diesem
Zusammenhang ist unbedingt noch anzumerken, dass es sich bei den Spezial-
sammlungen ausschließlich um verhältnismäßig kleine Institutionen handelt,
was ihre finanzielle Ausstattung betrifft: Die Dokumentation lebensgeschichtlicher
Aufzeichnungen und die Sammlung Frauennachlässe an der Universität Wien sind
fix jeweils nur mit einer Teilzeitstelle besetzt. Der Betrieb des Tagebucharchivs in
Emmendingen wird wesentlich durch unentgeltliches Ehrenamt getragen.
Insgesamt stehen die einzelnen Bestände jedenfalls in der ‚Tradition‘ der
oben vorgestellten „Geschichtsbewegung“. Entsprechend stellen die hier tätigen
Personen an ihre Arbeit – gleichzeitig – jeweils zwei verschiedene Ansprüche:
Der wissenschaftliche Selbstzweck ist es, Quellen zur Verfügung stellen, die
zuvor nicht systematisch gesammelt worden sind. Der gesellschaftspolitische
Selbstzweck ist es, einen institutionellen Ort für Quellen von Personen zur Verfü-
gung zu stellen, die zuvor nicht als ‚beforschenswert‘ galten. Vorausgesetzt ist
dabei, dass diese Personen selbst ein Interesse daran haben. In diesem Sinne ist
diese Arbeit als „zivilgesellschaftliches Engagement“ (Gabrielli 2004, 346) zu ver-
stehen. Die dabei verfolgten Logiken und Strategien können eigensinnig sein, die
Interessenslagen sind allemal vielschichtig. Welche AkteurInnen treffen dabei
welche Entscheidungen?
3 Logiken, Strategien und Interessenslagen
bei der Zusammensetzung der Bestände von Sammlungen
für Selbstzeugnisse
Der Aufbau eines Sammlungsbestandes von Selbstzeugnissen setzt Entscheidun-
gen voraus, die von verschiedenen AkteurInnen getroffen werden. Sie spielen
dabei unterschiedliche Rollen, die jeweils aufeinander angewiesen sind: Die
Schreiberinnen, Nachfahren oder sonstigen Befugten stellen Selbstzeugnisse zur
Verfügung, die Sammlungsbetreuerinnen und Archivare sammeln und verwalten
diese systematisch, die Forscherinnen und Historiker werten sie aus.
Mögliche Anlässe für die Übergabe persönlicher Aufzeichnungen an eine
Sammlungseinrichtung lassen sich in den Übergabekorrespondenzen nachvoll-
ziehen, in denen die entsprechend Interessierten ihre Gründe oder Wünsche
häufig direkt benennen. Als besonders berührendes Beispiel kann hier Frances
Nunnally zitiert werden. Sie wurde 1923 als Franziska Huppert in Wien geboren,
von wo sie 1939 aufgrund rassistischer Verfolgung flüchten musste. Sie überlebte
in Großbritannien und konnte sich später ein Leben in den USA aufbauen. Im
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik