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Der eine kommt ins Archiv, der andere kommt nicht ins Archivâ â
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in Bereichen des Schauspiels und der Popularmusik anzutreffen sind. Der Per-
formanzaspekt der Kunstform, in diesem Fall Kabarett, und die Performanz des
KĂŒnstlersubjekts stellen sich in diesem Zusammenhang zwar einerseits als
untrennbar und (intrinsischer) Kern der Kunstform dar (vgl. Reckwitz 2016b,
201), d. h. es kommt zu einer AuffĂŒhrung vor Publikum, die auf Einmaligkeit
und Unwiederholbarkeit zielt. Andererseits gibt es auch eine âhandwerklicheâ
Dienstleistungskomponente der Darbietung (vgl. Reckwitz 2016b, 203), die die
im
manente Evaluation, zumindest rezipientenseitig, provoziert und als Korrektiv
fungiert â die Kabarettistin bzw. der Kabarettist beobachtet sich und die Publi-
kumsreaktion und verÀndert sein Vorgehen.11 Hier spielt einerseits eine bestimmte
â nachmoderne â Vorstellung von KreativitĂ€t eine Rolle, die das âNeueâ im
Re-Arrangement von Gegebenem wiederfindet, wodurch eine ausgeprÀgte Selek-
tionskompetenz an Relevanz gewinnt (vgl. Reckwitz 2016b, 210), der auch mit
einer entsprechenden evaluierenden Rezeptionshaltung einhergeht.12 Anderer-
seits kommt hinzu, dass die Kabarettistinnen und Kabarettisten immer mehr zu
âöffentlichen Figurenâ werden, deren kĂŒnstlerisches Agieren durch die Massen-
medien leichter verfolgbar und einschÀtzbar wird (vgl. Reckwitz 2016b, 212) und
mit bestimmten (medial unterschiedlich gelagerten) Erwartungen aufgeladen
wird â kurz, sie sind zumindest teilweise im âStarsystemâ angelangt,13 was auch
diverse Interview- und Artikel-Serien in Illustrierten bezeugen. Dieser personen-
oder subjektzentrierte (in einigen Ausnahmen auf Gruppen, Ensembles und
BĂŒhnen erweiterte Zugang) spiegelt sich auch in der Ordnung des ĂKA und lĂ€sst
anhand der vorhandenen Praxis- und Diskursformationen (vgl. Reckwitz 2016a)
RĂŒckschlĂŒsse auf die Subjektkultur zu. Zudem gilt es zu bedenken, dass hier ein
relativ rudimentĂ€res Konzept von âAuthentizitĂ€tâ zum Wirken kommt, was auch
als Teil der sich seit den 1960er-Jahren in allen Bereichen Ă€ndernden KĂŒnstlerin-
nen- und KĂŒnstlervorstellungen sowie damit verbunden von Selbst- und Subjek-
11â Ebenfalls gehörten zu diesem Punkt die bewussten Interaktionen mit dem Publikum und das
vorsorgliche Anpassen der Programme an die jeweilige Umgebung. Alfred Dorfer meint z. B.,
dass er bei Auftritten in Deutschland und der Schweiz langsamer spielen mĂŒsse, da die jeweili-
gen Kabarett-Traditionen und Publikumsvorstellungen in den beiden LĂ€ndern dies auch von
auslĂ€ndischen Kabarettisten abverlangen wĂŒrden, sollten diese eine positive Reaktion auf ihr
Programm wĂŒnschen (Alfred Dorfer in einer persönlichen Mitteilung).
12â Siehe auch die weiter oben erfolgten Erörterungen zu Henningsens âSpielâ mit dem âWis-
senszusammenhangâ.
13â David P. Marshall spricht insgesamt mit Blick auf das weitlĂ€ufige Feld der unterschiedlichen
medial erzeugten âStarsâ von âfamiliarizationâ, speziell mit Blick auf die medial gesteuerte Ver-
mittlung (vgl. Marshall 1997, 130â132). Nicht nur die Kunstform, sondern die Kabarettistinnen
und Kabarettisten selbst werden zur âMarkeâ.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik