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Kleine Literaturen – kleine Archive?
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chen Institutionen mündete. Die slowenische Intelligenz und die literarische
Produktion war am Rande einer vollständigen Auslöschung, Autoren gingen in
den Widerstand oder wurden von Nationalsozialisten verfolgt oder ermordet,
damit gingen auch zerstörerische Folgen für potenzielle Nachlassmaterialien und
Überlieferungszusammenhänge einher. Wenn auch der bewaffnete Widerstand
gegen das nationalsozialistische Regime fast ausschließlich von Kärntner Slowe-
nen getragen wurde, schwanden nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Hoffnun-
gen auf einen wertschätzenden Umgang. Denkmäler als „Erinnerungszeichen an
den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die Hinweiszeichen auf das
Slowenische“ haben, so Klaus Amanns verheerende Diagnose, selbst 2013 in der
offiziellen Erinnerungskultur Kärntens keinen Platz: „So ist es wohl auch kein
Zufall, dass es in Kärnten keine offizielle Gedenkstätte für die Opfer des sloweni-
schen Widerstands gegen den Nationalsozialismus gibt“, zudem stehe
kein einziges der von den Kärntner Slowenen errichteten Denkmäler, die an den bewaff-
neten Widerstand erinnern, auf öffentlichem Boden [...] dennoch gab es im Laufe der
Jahrzehnte zahlreiche Anschläge gegen diese Grabdenkmäler und Gedenkstätten. (Amann
2013, 23)
Indem Amann diese „gespaltene Erinnerung“ benennt, trifft er zugleich eine Dia-
gnose über die Archivlandschaft. So hätte sich die Kärntner Landesregierung
1975 einem zentralen Projekt des Dokumentationsarchivs des österreichischen
Widerstandes in Wien über Widerstand und Verfolgung in den österreichischen
Bundesländern verwehrt, und das Kärntner Landesarchiv wie der Geschichtsver-
ein für Kärnten glänzten durch die Abwesenheit einer wissenschaftlichen Arbeit
über den Widerstand der Kärntner Slowenen. Die Kärntner Slowenen wiederum
verfügen über eine „lebendige Tradition der Erinnerungskultur“, die auch in der
Literatur ihre Referenz erhalte. Die Sorge vor dem Verschwinden der Erfahrung
einerseits und zum anderen um die Erfahrungen zu dokumentieren, begannen
Vereine und Verbände der Kärntner Slowenen unmittelbar nach der Befreiung
vom Nationalsozialismus „Erinnerungen, Erzählungen, Briefe, Zeitzeugenbe-
richte und Dokumente über Widerstand und Verfolgung zu sammeln und in ihren
Tages- und Wochenzeitungen, in Kalendern, Broschüren und Büchern zu veröf-
fentlichen“ (Amann 2013, 27). Auf drei Bücher von Andrej Kokot, Lipej Kolenik
und Karel Prušnik-Gašper, autobiografische Erzählungen über Krieg, Widerstand
und Verfolgung in der NS-Zeit, hat Peter Handke in seiner Dankesrede zur Verlei-
hung des Ehrendoktorates der Universität Klagenfurt mit dem Aufruf „Lesen Sie
gefälligst!“ aufmerksam gemacht. Im Entstehungskontext des Familien- und
Geschichtsdramas Immer noch Sturm spielen neben den drei oben genannten
Autoren auch noch weitere Erinnerungsbücher der Kärntner Slowenen eine wich-
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik