Page - 32 - in Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Volume 1
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32 | Gerhard Botz, Alexander Prenninger und Regina Fritz
Unsere Forschungen zu den Deportationswegen beruhen auf der These, dass es
keine irgendwie geartete «historische» Notwendigkeit gab, dass die in diesen Bänden
vorgestellten Menschen in das Konzentrationslager Mauthausen kamen, sondern dass
bestimmte äußere Ereignisse ihren Lebensweg radikal änderten.17 Für viele Überle-
bende bedeutete der Beginn des Krieges bzw. der deutschen Besatzung eine solche
Wende. Aber auch in weiterer Folge sind immer wieder äußere Ereignisse festzustellen,
die erneut wichtige Änderungen im Verlauf ihrer Lebensgeschichten bedeuteten (zum
Beispiel die Überstellung in ein bestimmtes Lager oder Arbeitskommando). Zentral ist
dabei auch die Frage nach den Reaktionen und Handlungsmöglichkeiten (agency) als
Folge solcher äußeren Ereignisse, wobei die Interviewten über manchmal sehr kleine,
manchmal auch größere Spielräume berichten : von der Angabe falscher Namen und
Geburtsdaten bis hin zu nicht nur geplanten, sondern manchmal auch durchgeführten
Fluchten aus einem Lager oder von einem Transport. In vielen Berichten sind es aber
gerade die Inkohärenzen und Brüche in den Erzählungen der Überlebenden, die uns
Aufschluss über bestimmte Stationen ihres Lebens geben.
Band 3 : Leben und Überleben im KZ-System Mauthausen
Die hohen Todeszahlen, die Vernichtungsaktionen gegenüber bestimmten Häftlings-
gruppen und die Existenz einer Gaskammer führten dazu, dass Mauthausen von über-
lebenden Häftlingen als das schlimmste aller Konzentrationslager, als Vernichtungsla-
ger oder «Mordhausen» bezeichnet wurde.18 Der dritte Band beschäftigt sich mit den
Erfahrungen der Überlebenden im Lagerkomplex Mauthausen. Während im zweiten
Band die Herkunftsländer der Überlebenden im Vordergrund stehen, also nationale
Kategorien dominieren und letztlich ein nationalstaatlicher Untersuchungsrahmen
gewählt wurde, werden in diesem Band transnationale Zugänge und Analysen sowie
über die einzelnen Häftlingskategorien hinausgehende übergreifende Fragestellungen
in den Blick genommen. Dies bedeutet einen Wechsel der Perspektive von der na-
tionalstaatlichen Ebene hin zur Gesellschaft des Lagers.19 Schließlich konnten zwar
flüchtet war. AMM, MSDP, OH/ZP1/259, Interview mit Sergej Wassiljewitsch Driga, Interviewer : Kirill
Wasilenko, Donezk, 14. 6. 2002. Im russischen Archiv OBD Memorial befindet sich ein Dokument, das
seine Haft in dem südrumänischen Kriegsgefangenenlager Calafat bestätigt.
17 Vgl. dazu die theoretischen Konzepte der Lebensverlaufsforschung, v. a. Marc Bessin et
al. (Hg.) : Bifurca-
tions. Les sciences sociales face aux ruptures et à l’événement, Paris 2009 (Collection Recherches).
18 Edmund Richard Stantke : Mordhausen. Bericht eines Augenzeugen über Mauthausen, das berüchtigte
Konzentrationslager, München 1946 ; auch im KZ Buchenwald war Mauthausen unter diesem Namen
bekannt, siehe Hermann Langbein : … nicht wie die Schafe zur Schlachtbank. Widerstand in den natio-
nalsozialistischen Konzentrationslagern 1938–1945, Frankfurt a. M. 1980, S. 123. Vgl. zudem Stanisław
Dobosiewicz : Vernichtungslager Gusen, Wien 2007 (Mauthausen-Studien, 5).
19 Vgl. zum Folgenden Alexander Prenninger : The Camp Society. Approaches to Social Structure and Ordi-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen