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157«Geschichtsforschung
mit dem Taschenrechner» ? |
«[13.Â
Juni 1940] Rapportf[ĂĽhrer]. St. meldet 19Â
Tote an Chmi[elewski]62. Es ist als mĂĽsste das
so sein. Was ist jetzt bloss Los, sind denn hier bloss L[ügner]. u. Mö[rder].?»
«[14. Juni 1940] : Wenn das so weiter geht, 27 Pers[onen] beim Frühappell. Wann bin ich da
an der Reihe ? grausam ! Abendappell 9 P[ersonen]. […].»
«[20. Juni 1940 :] 20 Ostm[ärker]. von Mauth[ausen]. gekommen. […]. W. Th. bringt mir
Wurst. W. Hannes braucht Rauchw[aren]. u. Briefp[apier]. für Hackbraten u. Wurst. Ich ver-
schenke fast alles, ich bin ja satt !»63
Die Einlieferung großer Gruppen «neuer» Deportierter führt – trotz Angst um den ei-
genen, stets als prekär empfundenen Status – zu einer drastischen Steigerung des eige-
nen Status und der damit einhergehenden Privilegien als Abwesenheiten von Mangel.
Das wichtigste Ergebnis der statistischen Modellierung scheint allerdings darin zu
bestehen, dass die miteinbezogenen Variablen zu einem sehr groĂźen Teil die Mortali-
tät der Häftlinge statistisch erklären können. Würde man sich zum Beispiel lediglich
auf das Alter und die SS-Kategorisierungen beschränken, hätte das Modell dagegen
wenig Aussagekraft. Damit lässt sich sagen, dass statistisch gesehen der Einlieferungs-
zeitpunkt die größte Auswirkung auf die Frage des Überlebens im KZ hatte ; daneben
war ein geringes Alter einer Person – zumindest für die Zeit von 1942 bis 1945 – der
wichtigste einzelne Faktor fĂĽr das Ăśberleben im KZ und ĂĽberstieg (fĂĽr die Gesamtheit
der Häftlinge betrachtet) die Bedeutung von Nationalität und Haftkategorie.
Das auf diese Art berechnete Modell könnte nun zum einen als Hinweis darauf auf-
gefasst werden, dass die «konzentrationären» Merkmale offenbar zu einem großen Teil
imstande sind, die Frage der Sterbe- bzw. Ăśberlebenswahrscheinlichkeit statistisch zu
«erklären». Anders gesagt : Relativ unabhängig von individuellen Merkmalen wie phy-
sischer oder psychischer Konstitution oder auch den oben und oft beschriebenen soft
skills des Lagers wie dem berüchtigten «Organisieren» von zusätzlichen Lebensmitteln
kann die Frage, ob eine bestimmte Person im Lager starb oder ĂĽberlebte, mit Hilfe
der wenigen Faktoren des Modells tendenziell statistisch «vorhergesagt» werden. Von
einem Zufall in Bezug auf die Frage des Sterbens oder Ăśberlebens zu sprechen, ist
diesem Modell zufolge ebenso wenig möglich wie von einer Überlebens-«Leistung»
oder einem individuellen «Versagen» im Todesfall. Die Sterbewahrscheinlichkeit hing
offenbar, anders als zum Beispiel Falk Pingel betont, nicht so sehr von mehr oder we-
niger zufällig verteilten oder beeinflussbaren vorkonzentrationären Prägungen und
Eigenschaften ab, sondern vielmehr von objektiv unbeeinflussbaren hard facts – das
Alter konnten sich die Inhaftierten ebenso wenig frei wählen wie ihren Einlieferungs-
zeitpunkt.
62 Gemeint ist Lagerführer Karl Chmielewski. Vgl. Holzinger, Die zweite Reihe, S. 70–76.
63 Tagebuch des Zeugen Ernst Hallen.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen