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175Besatzer,
Besetzte und Verfolgung in Hitlers Europa |
munismus und teilweise auch des Nationalismus konnten den Widerspruch gegen na-
tionalsozialistische Verfolgungen durchaus hemmen. Doch gilt es auch hier, zwischen
der weniger repressiven Situation in West- und Nordeuropa und der Atmosphäre der
Gewalt im Osten zu unterscheiden. Die meisten KirchenfĂĽhrungen haben sich an
die Besatzungsregime angepasst und eher Hilfsaktionen im Stillen gestartet. Offene
Interventionen wie die der französischen und niederländischen Bischöfe zugunsten
der Juden oder der muslimischen Hierarchie in Bosnien zugunsten der muslimischen
Roma blieben eher die Ausnahme.18
Die Mehrheit der Bevölkerung unter Besatzung war weder der Kollaboration noch
dem Widerstand zuzurechnen. Sie kämpfte, insbesondere in Polen, der Sowjetunion
und in Jugoslawien, ums eigene Ăśberleben. Dennoch waren auch diese Gesellschaften
nicht völlig paralysiert. Insbesondere den West- und Nordeuropäern wurde von Seiten
der Besatzungsmacht eine begrenzte Ă–ffentlichkeit zugebilligt. Dabei spielte neben der
höheren rassischen Wertschätzung auch eine Rolle, dass diese Länder mit relativ wenig
deutschem Besatzungspersonal regiert wurden und deshalb Unruhen vermieden wer-
den sollten. Etwa in Dänemark, aber auch in Frankreich war die Besatzungsverwaltung
daran interessiert, die Bevölkerung nicht durch exzessive Gewalt gegen sich aufzubrin-
gen. So diskutierte man im Herbst 1941, ob es nach den Anschlägen der französischen
RĂ©sistance massive GeiselerschieĂźungen geben solle, und verfiel stattdessen auf die
Idee, als Repressalie ausländische Juden nach Auschwitz zu deportieren.19
Die Besatzungsmacht konnte dabei durchaus an antisemitische Strömungen an-
knüpfen, die es schon früher gegeben hatte und die von autoritären Regimes wie
Vichy- Frankreich oder Horthy-Ungarn nach deutschem Vorbild aufgewertet wurden.
In begrenztem MaĂźe galt dies auch fĂĽr rechte Kreise in Polen oder im Baltikum. Den-
noch lässt sich kein einheitliches Bild gewinnen : Die Mehrheit der Bevölkerung sah
der Entrechtung, Enteignung und Isolierung apathisch zu, einige profitierten durchaus
von den «Arisierungen» oder den Geschäftsschließungen bei der jüdischen Konkur-
renz, in Osteuropa auf niedrigem, in Westeuropa auch auf höherem Niveau.20 Erst die
Kenntnis von den Massenmorden ab Ende 1941 löste bei vielen Entsetzen aus. Freilich
waren die Handlungsspielräume deutlich begrenzt : Die Hilfe für Juden wurde unter
Strafe gestellt, in den besetzten polnischen und sowjetischen Gebieten konnte das den
18 Jan Bank/Lieve Gevers : Churches and Religion in the Second World War, London 2016 (Occupation in
Europe).
19 Ahlrich Meyer : Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940–1944. Widerstandsbekämpfung und Juden-
verfolgung, Darmstadt 2000, S. 134 ff.
20 Constantin Goschler/Philipp Ther (Hg.) : Raub und Restitution. «Arisierung» und Rückerstattung jüdi-
schen Eigentums in Europa, Frankfurt a.Â
M. 2003 ; Georges Bensoussan (Hg.) : Spoliations en Europe, Pa-
ris 2007 (Revue d’histoire de la Shoah, 186) ; Jean-Marc Dreyfus : Pillages sur ordonnances. Aryanisation
et restitution des banques en France, 1940–1953, Paris 2003 (Pour une histoire du XXe siècle) ; Martin C.
Dean : Robbing the Jews. The Confiscation of Jewish Property in the Holocaust, 1933–1945, Cambridge,
UK 2008.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen