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Weggabelungen und EinbahnstraĂźen |
Sind also Kindheits- und Jugenderzählung von den drei aus politischen Gründen
Verfolgten vor allem darauf fokussiert, die Genese der Widerstandstätigkeit zu schil-
dern und diese in eine Argumentation zur Rechtfertigung dieser Entscheidung ein-
zubetten, sind in den Kindheits- und Jugenderzählungen der beiden aus rassistischen
GrĂĽnden Verfolgten andere Leitmotive zu finden :
Im Falle Michael Horvaths findet man das seine gesamte Lebensgeschichte durchzie-
hende ArgumentÂ
– nämlich eine Art erzählerische Beweisführung gegen das Zutreffen
antiziganistischer Zuschreibungen auf seine Person – auch in seiner Erzählung über
Kindheit und Jugend. Neben dieser der Gesamterzählung zugrunde liegenden Narra-
tion umfasst seine Vor-Verfolgungserzählung zwei weitere, zentrale Motive : erstens
die sehr innige Beziehung zu seiner alleinerziehenden Mutter und zweitens wiederkeh-
rende Sequenzen, die deutlich machen, dass Horvath bereits als Kind im Arbeitsleben
stand. Die Erzählungen von seiner Erwerbstätigkeit als Kind und Jugendlicher sind
Teil seiner Argumentation gegen den nationalsozialistischen Vorwurf der «Arbeits-
scheu». Er schildert in seiner Erzählung ausdrücklich, wie stark sein Leben schon von
frühester Kindheit an von Arbeit geprägt gewesen war. Vom neunten Lebensjahr an
war Michael Horvath, sei es in der Landwirtschaft oder im Straßenbau, erwerbstätig
gewesen. Die nationalsozialistische Etikettierung der Roma als arbeitsscheu stellte fĂĽr
ihn einen besonderen Affront dar, der in ihm ein GefĂĽhl gesellschaftlicher Verkennung
seiner Person nährte, indem ihm aufgrund seiner Volkszugehörigkeit stereotype Ver-
haltensweisen von auĂźen zugeschrieben wurden, die mit ihm und seinem Selbstbild
nichts zu tun hatten. So ist auch seine Kindheitserzählung bereits kontinuierlich von
Arbeitserfahrungen durchzogen.
Auch in der Lebensgeschichte des als Juden verfolgten Fritz Kleinmann ist es ein
zentrales Anliegen, der Zuschreibung von ethnischen Zugehörigkeiten und damit
verbundenen Stereotypen entgegenzuwirken : Kleinmann stellt gleich am Anfang des
Interviews klar, dass seine Familie eine «Wiener Familie» bzw. dass sie (noch stärker)
«eingefleischte Wiener» gewesen seien. Bereits im darauffolgenden Satz schildert der
Ăśberlebende im Interview allerdings, dass lediglich seine Mutter aus Wien stammte,
sein Vater aber erst im Alter von 15Â Jahren von Oberschlesien nach Wien immigriert
war.
FK : «Wir sind eine Wiener Familie.»
HA : «Ja.»
FK : «Ja/ Die Mutter ist auch in Wien geboren und der Vater ist mit 15 Jahren nach Wien
gekommen. Der ist in Oberschlesien geboren. // mhm // Der ist mit 15Â Jahren noch Wien
gekommen. Wir waren vier Kinder – zwei Mädchen, die waren älter, und zwei Buben. Der
Bruder war jünger, sieben Jahre jünger als ich. – Die Mutter ist auch eine Wienerin, war von
Beruf Modistin.»29
29 AMM, MSDP, OH/ZP1/125, Interview Kleinmann.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen