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Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Sabrina Stranzl | âYour ignorance is more scandalous than my promiscuityâ 55
sich in der Regel ânicht mit ihrem Gesicht in der Ăffentlichkeit outen, da dies zur verstĂ€rkten
Stigmatisierung und Diskriminierung fĂŒhren wĂŒrdeâ68.
Wie solch eine Stigmatisierung und Diskriminierung auf der StraĂe aussehen kann,
beschreibt Roland Girtler in seinem Beitrag âDie Kultur der GeĂ€chteten â die Kultur der
WĂ€chterâ im Unterkapitel âVerdacht und Geheimprostitutionâ. Darin schildert er, wie die Poli-
zei eine Geheimprostituierte aufgreift. âDie als Geheimprostituierte etikettierten Frauen versu-
chen zwar, den Zuschreibungen der Polizei dadurch zu begegnen, daĂ sie sich als Passantinnen
gebĂ€rden, die ĂŒber die Anhaltung der Polizei entrĂŒstet sind.â69 Die Frau hat sich in einem
Wiener Viertel aufgehalten, das als Prostitutionsgegend bekannt, in der jedoch die Anbahnung
verboten ist. FĂŒr die Polizei war das Verhalten der Frau auffĂ€llig, denn sie hat einen wartenden
Autofahrer angesprochen, sich kurz mit ihm unterhalten und dann entfernte sie sich wieder.
Dies ist fĂŒr die Polizei Verdacht genug, die Frau mit den Worten, âsie sei unbelehrbarâ, anzu-
sprechen. Sie wurde daraufhin auf das PolizeiprÀsidium mitgenommen und hat dort zugege-
ben, âdaĂ sie sich nach MĂ€nnern umgesehen hĂ€tteâ. Girtler hĂ€lt dabei fest, dass der Verdacht
gegen die Frau dem Ă€uĂeren Anschein nach problematisch ist, aber Polizisten in der mĂ€chtige-
ren Position sind, da sie vermeintliche Prostituierte unter psychischen Druck setzen, wenn sie
auf die Polizeidienststelle mitgenommen werden. Des Weiteren schreibt Girtler, dass es auf die
Strategie der Polizisten zurĂŒckzufĂŒhren ist, dass die Frau zugegeben habe, eine Geheimprosti-
tuierte zu sein. Als Strategie beschreibt er hier âdie Ansprache mit dem âDuââ, die eine gewisse
Vertraulichkeit signalisiere.70
Dies finde ich hier problematisch und möchte auf mein eigenes Forschungsmaterial zurĂŒck-
greifen, das ich nach Absprache mit meinen GesprÀchspartner_innen Christian Knappik und
Sanja71 von sexworker.at verwenden kann, soll und auch möchte.
Auf der Abbildung âStrafverfĂŒgung der Landespolizeidirektion Wienâ zeigen sich der Tat-
bestand und die entsprechende Verwaltungsstrafe dafĂŒr. Diese Verwaltungsstrafe ist an eine
registrierte Sexarbeiterin adressiert, die auf dem Heimweg zu ihrer Wohnung war, die in einem
Sperrgebiet liegt. Folgender Tatbestand wird angefĂŒhrt: âBlickkontakt zu den vorbeifahrenden
KFZ-Lenkern zu suchenâ; âvorbeifahrende Lenker durch Winken und/oder Kopfbewegung auf
sich aufmerksam zu machenâ.
Diese StrafverfĂŒgung zeigt, wenn âeine Frau an einem verbotenen Ort zu auffĂ€llig [agiert], kann
ein falscher Blick als Anbahnung einer illegalen sexuellen Dienstleistung interpretiert und bestraft
werdenâ.72 Daraus kann geschlossen werden, dass â auch wenn, wie Frauke Kreutler schreibt, sich
die strengen Normen hinsichtlich des Blickregimes seit dem 19. Jahrhundert gelockert haben â
Blicke, die womöglich sexuelles Interesse signalisieren, auch heute nicht neutral gewertet werden.73
Zentral ist hierbei die Frage, ob es tatsĂ€chlich sein kann, dass jemand durch âBlickkontakt
zu einem Auto suchenâ und âNickenâ und/oder âdurch Kopfbewegungen auf sich aufmerksam
machenâ auf der StraĂe als Sexarbeiterin bei der Anbahnung ĂŒberfĂŒhrt werden und mit einer
68 Interview mit Sanja und Christian, 20.09.2018.
69 Roland Girtler: Die Kultur der GeĂ€chteten â Die Kultur der WĂ€chter. In: Olaf Bockhorn u.a. (Hg.): Kulturjahr-
buch 2. Wiener BeitrÀge zur Kulturwissenschaft und Kulturpolitik. Wien 1983, S. 358.
70 Vgl. ebd.
71 Der Name Sanja ist anonymisiert, Christian Knappik hat darauf bestanden, seinen vollen Namen zu nennen.
72 F. Kreutler: Begehrliche Blicke und geheime Codes, S. 28.
73 Vgl. ebd.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 1/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 1/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 108
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal