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Mobile Culture Studies. The Journal 1 2015
Ursula Feldkamp | Seereiseerfahrungen in zwei Bordtagebüchern des 19. Jahrhunderts 73
Rohrstühle ohne Lehne, ein Schreibsecretair und Bücherschrank des capitains, einen Medicin-
kasten, und unter jeden Tisch eine Kiste für uns, eine andere für Mad. Brokelmann, zu beyden
Seiten der Sophas, Kasten, worin Wein etc. aufbewahrt, links aus der cajüte geht die Thür in
des capitains Schlafstube, die größer wie die andern, so viel Raum hat das ein paar Koffer vor
dem Bette stehen; von oben wird die cajüte durch ein fenster erhellt, von der Deckseite durch
vier, welche aufgeschoben werden können und durch welche man das ganze Deck übersehen
kann; die Seitenwände der cajüte sind bunt ausgelegt von Mahagoni und weiß gewolktes holz,
was sehr hübsch aussieht; die Schlafkojen sind jede mit einem schiebbaren fenster zu lüften.
In dem Gange zur cajüte steht der Ofen, hinter diesem der Torfkasten, auf dem meine Vögel
stehen.“ (18/19)
An Lebendproviant führte die „Goethe“ „80 hühner und einige hähne, 20 bis 25 Enten,
für den cajütentisch aufbewahrt sind; vor diesem ein hölzerner Behälter mit zwey zwölf bis
sechzehn Wochen alte ferkeln, englischer Race, von denen wir nachher Ragout machen wer-
den.“ (20) für die Zwischendeckspassagiere wurden traditionell vor allem fässer mit eingesal-
zenem, gepökeltem fleisch vorgehalten, dazu Mehl, hülsenfrüchte und Kartoffeln.
Am 24., also drei Tage nach der Ausreise, segelte die „Goethe“ bereits in den Englischen
Kanal, musste aber dort gegen den Wind ankreuzen. Die meisten Passagiere waren seekrank,
doch Ludwig und charlotte bereits auf dem Wege der Besserung. Das Tagebuch berichtet von
Dörfern und Leuchtfeuern, die passiert werden, ferner ausführlich über die üppigen Mahlzeiten
in der Kajüte. Am 27. August meldet sich erstmals die von der Seekrankheit genesene charlotte
zu Wort. Wesentlich ist für sie die harmonie in der Gemeinschaft: „Unsere cajütspassagiere
gefallen mir sehr gut, wir führen ein recht geselliges Leben, worin Vater captain, uns mit fro-
hen heitren Sinn vorangeht.“
In beiden Bordtagebüchern wird die wichtige funktion des Kapitäns als Beschützer der
Passagiere betont. Der Kapitän war verantwortlich für das Wohl aller Menschen auf dem
Schiff, für ihre Gesundheit, ihre ausreichende Ernährung und ihre wohlbehaltene Ankunft in
Amerika. Er war Navigator, Betriebschef, Arzt und Geschäftsmann in einer Person und wurde
– sofern ihm ein guter Ruf vorauseilte – von den Passagieren deshalb gern als „Vater Kapitän“
bezeichnet.
Ludwig Schreiber betrachtet den Kapitän des Vollschiffs „Goethe“ als einen lieben, guten
Mann,
„zu dem ich gleich Zutrauen fasste wie zu einem Vater.“ Auch ist er zuversichtlich, mit
einem kompetenten Navigateur unterwegs zu sein, der „auch den gradesten Weg durch den
Ocean zum fernen Westen nehmen, den mancher nicht zu halten wagt, weil er ihn nicht so
häufig befahren wie unser homann, unser Vater capitain, der wohl mitunter etwas derb
und brummig, doch eine gute Seele hat, verbunden mit heiterem Sinn.“ (41)
Lobend erwähnt er die fürsorge des Kapitäns, auch für die Zwischendeckspassagiere, von
denen einige die ganze Reise über seekrank waren. Diese erhielten „jeden Mittag Suppe vom
cajütentische“ und einer frau, der es besonders schlecht ging, „schenkte er (…) eine flasche
Rothwein.“ Ludwig fügt hinzu: „(…) es giebt für den capitain sehr häufig was zu thun, bald
kömmt einer der hat Geschwüre, dann wieder einer der sich verfressen an dem vielen Salz-
fleisch (…) so geht es fast alle Tage;“ Die Geschwüre der Zwischendeckspassagiere rührten vom
Mobile Culture Studies
The Journal, Volume 1/2015
- Title
- Mobile Culture Studies
- Subtitle
- The Journal
- Volume
- 1/2015
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2015
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 216
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal