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de Almeida, MĂŒller, Wimplinger | Die Linke schaut nach Portugal
Materialien, das die Filmemacher aus dem Off kommentieren, werfen Kramer und Spinelli
einen vielfÀltigen Blick auf die Ereignisse der portugiesischen Revolution. Dieser filmische
AuĂenblick ist bereits dabei, aus einer zeitlichen Distanz heraus Geschichte zu beschreiben,
anstatt in der Unmittelbarkeit des politischen Ereignisses aufzugehen. So wird auch das lÀnger-
fristige Scheitern vieler Verstaatlichungen und der Landreform aufgegriffen. Der Appendix des
Films, âSome Notesâ, zieht einen Vergleich zwischen dem Ende des revolutionĂ€ren Prozesses
in Portugal und den Ereignissen in Chile 1973, da in beiden FĂ€llen u.a. durch Interventionen
westlicher Staaten und rechtskonservativer Strömungen im jeweiligen Land der Kapitalismus
unter dem Deckmantel einer parlamentarischen Demokratie eingefĂŒhrt worden sei.24 Trotz
dieses Befunds bleibt Robert Kramers etwas pathetisches Urteil ĂŒber seine Zeit in Portugal als
reisender Filmemacher: âBut in 1974, Portugal was the freest country in the worldâ (Kramer/
Spinelli 1977: 01:26:30).
Es wird deutlich, dass die Nelkenrevolution Àhnlich wie andere politische Ereignisse der
1970er (die MilitÀrputsche in Chile 1973 und Argentinien 1976 oder der Vietnam-Krieg) zwi-
schen 1974 und 1976 betrÀchtliche Aufmerksamkeit von auslÀndischen Filmemacher*innen
auf sich zog, die im Rahmen linker internationaler SolidaritÀt ihre jeweils eigene Lesart der
politischen Ereignisse durch verschiedene dokumentarische Strategien ausdrĂŒckt.25 Geeint sind
diese Perspektiven auf Portugal in ihrer Ambivalenz zwischen Faszination und Reflexion â
zwischen distanzierter Beobachtung und Partizipation. Die Figur der reisenden politischen
Filmemacher*in entsteht gerade in der Zeit nach 1968, wenn auch mit einigen VorlÀufern wie
dem niederlÀndischen Filmemacher Joris Ivens oder den sowjetischen Filmavantgardisten
Dziga Vertov und Alexander Medwedkin (vgl. Ivens 1974). Die Geschichte des militanten oder
aktivistischen Films ist, wie Kodwo Eshun und Ros Gray schreiben, die einer âcinĂ©-geographyâ
(Eshun/Gray 2011: 2) â einer transnational zirkulierenden politischen Filmpraxis, die sich
verschiedenster linker Emanzipationsbewegungen international annimmt, um sich ein Bild
von und Bilder fĂŒr eine revolutionĂ€re Situation zu machen. Welche Besonderheiten weist die
Medialisierung politischer Prozesse durch reisende Filmmacher*innen auf? Und inwiefern sind
Aktivismus, Intervention und Dokumentarismus durch die linken Reisebilder Portugals â
durch das Von und FĂŒr â miteinander verbunden? Diese Fragestellungen an dokumentarische
Reisebilder werden nun in Bezug auf die Filmproduktion Torre Bela sowie das schon erwÀhnte
Kollektivfilmprojekt Viva Portugal! diskutiert.
Torre Bela. Eine Gruppe in Bewegung setzen
Der Film Torre Bela von Thomas Harlan verfolgt die Besetzung des gleichnamigen Adels-
sitzes der Familie LafĂ”es, welcher als einer der gröĂten in Portugal galt. Landarbeiter*innen,
Einwohner*innen der umliegenden Dörfer und Mitglieder einer revolutionÀren Gruppe
grĂŒndeten im Verlauf des FrĂŒhsommers 1975 eine Kooperative zur Nutzung des Landes, die
24 âSituation the same: with help from its foreign allies, the Portuguese right works to fully restore capitalism. The
strategy is different than that used in Chile, but the goal is the sameâ. (Kramer/Spinelli 1977: 01:26:42)
25 Neben den drei hier erwĂ€hnten Filmen âwestlicherâ Filmemacher, sollen auch die beiden bekannteren Doku-
mentationen aus sozialistischen LÀndern nicht unerwÀhnt bleiben: Milagro en la tierra morena (CU 1975, R.:
Santiago Ălvarez) und First days of freedom (SU 1974, R.: Studija Dokumentalnykh). Die Berichterstattung und
Bedeutung der Nelkenrevolution fĂŒr die sozialistischen LĂ€nder Europas ist eine weiterfĂŒhrende Fragestellung.
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Volume 2/2020
The Journal
- Title
- >mcs_lab>
- Subtitle
- Mobile Culture Studies
- Volume
- 2/2020
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German, English
- License
- CC BY 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal