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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
Ich (bin) JHWH.
Der schuldig gewordeneBrudermuss unbedingt auf seinVergehen angespro-
chenwerden.StelltmanihnnichtzurRede,übernimmtmandieVerantwortung
für seinVerhalten. Nur eine offeneAussprache kann, wenn verborgenerHass
aufgestaut ist und sich in einer unangemessenenReaktion zu entladen droht,
eigeneSchuldvermeiden.BleibtdieklärendeZurechtweisungaberergebnislos,
darf diesweder zuRachegelüstennochzunachtragendemGroll führen.Wenn
die anschließendeKonjunktion (w) wie oben konsekutiv („sodass“)übersetzt
wird, dann ist die Liebe, dieman jetzt „dem (le) Nächsten (re¯ a¯)“ erweist, die
FolgedesGehorsamsgegenüberdenvorausgehendenWeisungen.DieserLiebe
gehtesnichtnurumEmotion,sondernauchumTaten,„umSolidarität,Loyalität
undpraktischeZuwendung“.70Sie erscheint imZusammenhang als Erfolg des
VerzichtsaufHass,RacheundZornundistdaherkeinweiteresGebot, sondern
dieZusammenfassungdesindenVersen17–18a*gefordertenVerhaltens.71Esist
die liebendeZuwendung,diemanentweder schonselbst erfahrenhatoderdie
manvomanderenerhofft,diedemNächstenebenfallsgewährtwerdensoll.72Die
vergleichende Präpositionalverbindung (ka¯mika¯) beabsichtigt eine wechsel-
Objektvergleichbeschreibt dasVorbildmit „man“ als (gewöhnlich zu ergänzendes) unbe-
stimmtes Subjekt und die Nachahmung durch das „Du“. „Es geht folglich nicht um eine
Selbstliebe, sondernumdie bereits erfahrene oder in Zukunft erhoffte Liebe,mit der die
AussagedesHauptsatzesverglichenwerdensoll.“ (Ebd.).DabeiwirdauchderHandlungs-
aspekt derWendung ˘a¯he¯b le berücksichtigt. ZurAuseinandersetzungmit anderenAusle-
gungen s. Ebd., S. 309–314. Kurz zu den beiden in der christlichen und jüdischenAusle-
gungsgeschichte entwickelten Interpretationen–zuder vonderSeptuagintavorgegebenen
undunsgeläufigenÜbersetzung„LiebedeinenNächstenwiedich selbst!“undderWieder-
gabe „LiebedeinenNächsten,denn er istwie du!“DieDeutungdes ka¯mika¯ als reflexives
Adverbiale „wiedich selbst“unddamitdie SelbstliebealsMaßderNächstenliebe scheidet
heutedefinitivaus–diePräpositionalverbindungkannkeinReflexivverhältnisausdrücken
(Ebd., S. 309–310). Auchdie griechischeWiedergabeder Septuagintamit einemReflexiv-
pronomenübersetztdenhebräischenTextnicht exakt.GegendasVerständnisvonka¯mika¯
alsAttribut zu re¯ a¯–derNächste „derdir gleich ist“, also eineuniversaleAusweitungder
NächstenliebewegenderGleichheit bzw.Gleichbedürftigkeit allerMenschen– spricht in-
haltlich,dassderFremdenichtmitdemMitbürgergleichgesetztwird,vorallemaberdiezu
Vers18paralleleAussageinVers34,beiderka¯mika¯nochdasenklitischePersonalpronomen
in li „ihm“(d.h. demFremden)bestimmenmüsste (Ebd., S. 311–312).NachGaßhat sich
nochAkiyama,Love,S. 55–62,zudenbeidenHauptübersetzungengeäußert.Erplädiert für
den „adjectival sense (,who is like yourself‘)“. Doch scheint er denArtikel vonGaß und
dessenWiderlegungdieserLösungnicht zukennen.
70 Gaß,Heilige, S. 307.
71 Ebd.,S. 304.„InderRezeptionwirdsichzeigen,dass imJudentumwie imChristentumdas
GebotderNächstenliebe tatsächlichdie ,Summe‘,Zusammenfassungoder innererKernder
GeboteGottes angesehenwird.“ (Hieke,Levitikus, S. 728).Damit erübrigt sichdieDiskus-
sionvonKengoAkiyama,HowCanLoveBeCommanded?OnNotReadingLev19,17–18as
Law, in:Biblica98/2017,S. 1–9.
72 Gaß,Heilige, S. 314.
GeorgBraulik56
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik