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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
seitigePraxisderLiebeundsomiteinebesondereFormderGoldenenRegel,die
zumMaßstabdes eigenenVerhaltensnimmt,wasman selbst vomanderen er-
fahrenmöchte.73Angesichts des nahezu synonymen „Bruders“, „Mitbürgers“
undVolksgenossen und der ausschließlich an die Gemeinde gerichteten apo-
diktischen Verbote (Verse 11–18) meint der „Nächste“ nicht irgendwelche
Mitmenschen,sonderndieMitgliederdesGottesvolkes.„Die,Bruder‘-Metapher
schafft (…) das Idealbild einer nach dem Vorbild der Familiensolidarität
strukturiertenGesellschaft“.74Dabei spricht nichts dafür, den schuldig gewor-
denenMitisraeliten als persönlichen Feind und die gebotene Liebe dann als
Feindesliebezuverstehen.75Entscheidendist,dassdieLiebe,diesonstinnerhalb
einerGroßfamiliegilt,aufalleimVolkGottesausgeweitetwird.Obwohlalso„der
Nächste“ nur den nicht-verwandten Israeliten, die Israelitin, nicht aber den
„Fremden“bezeichnet,wirddie selbe tätige Solidarität beimWeiterlesen auch
fürdenFremdengefordert, der imGottesvolkwohnt.DasGebotderFremden-
liebe zitiert in 19,34a inmitten eines pluralischenKontextes das fast gleichlau-
tende, imSingular formulierteLiebesgebotausVers18:
33UndwennbeidireinFremder (ge¯r) ineuremLandalsFremderwohnt (ja¯g0r),
sollt ihr ihnnichtunterdrücken.
34WieeinEinheimischer( ˘æzra¯h
˙ )untereuchsolleuchderFremde(hagge¯r)sein,derbei
euchalsFremderwohnt (hagga¯r).
Und du sollst ihmLiebe (we ˘a¯habta¯ li) erweisenwie (man) dir (Liebe erweist) (ka¯-
mika¯).Denn ihr seidFremde(ge¯r%m) imLandÄgyptengewesen.
Ichbin JHWH,euerGott.
Der imLandIsraelswohnendeSchutzbürgerunddie Israeliten,dieFremde im
Land Ägypten waren, unterstreichen die Gemeinsamkeit von Fremden und
Einheimischem. Zugleich rahmen sie auch das Herzstück des Gesetzes – das
Verbot, den Fremden zuunterdrücken, unddas damit kontrastierendeGebot,
ihn zu lieben. Im Einzelnen: Der im Land ansässige „Fremde“ verfügt über
73 Ebd.,S. 317–318.„InLev19,18.34gehtesumeinenVergleichderNächstenliebenichtmitder
Selbst-bzw.Eigenliebe,sondernmitdervonanderenMenschenerwartetenLiebe.Wasman
antätigerLiebeselbsterhofft,solltemandemanderengenausozukommenlassen.DieseArt
vonNächstenliebezeigtsichbesondersinderEinhaltungderzuvorgenanntenWeisungen.“
(Ebd., S. 318).
74 Hieke,Levitikus, S. 729.
75 Vgl.ChristophNihan,FromPriestlyTorahtoPentateuch.AStudy intheCompositionofthe
BookofLeviticus, ForschungenzumAltenTestament25,Tübingen2007, S. 474Anm.304.
Andersz.B.GianniBarbiero,L’asinodelnemico.Rinuciaallavendettaeamoredelnemico
nella legislazione dell’Antico Testamento (Es 23,4–5; Dt 22,1–4; Lv 19,17–18), Analecta
Biblica 128,Roma1991, S. 265–296, der seine eingehendeExegese vonLev 19,17–18über-
schreibt: „L’amoredel nemico“.NachRuwe,Heiligkeitsgesetz, S. 205, fungiert dasLiebes-
gebot imKontextvon19,17–18„als einFeindesliebegebot“.
DerblindeFleck–dasGebot,denFremdenzu lieben 57
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik