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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
JohnHowardYoder, einemUS-amerikanischenTheologenausdermennoniti-
schenTradition.Yoder,derunteranderembeiKarlBarthinBaselstudierthat,ist
deswegeninteressant,weilergeradegegendenHauptstromderprotestantischen
TheologiedasVerhältnisvonWeltundGlaubeneudenkt.
Anknüpfungspunkt ist für Yoder die in der neutestamentlichen, besonders
derpaulinischenTheologiezufindendeHermeneutikder„gefallenenMächte“20.
Die Mächte dieserWelt werden darin einerseits relativiert, andererseits aber
auch fürunverzichtbar imHeilshandelnGottes erklärt unddamit ethischqua-
lifiziert. ImKolosserhymnus (Kol 1,15–17) kommtdas zumAusdruck:Durch
Christus ist derMensch einerseits denMächtender Finsternis entrissen (Vers
13), andererseits wurde in Gott alles, auch das Sichtbare, „die Throne und
Herrschaften, Mächte und Gewalten“, geschaffen.Wenn, wie es weiter heißt,
„alles durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ ist, und vor allem, wenn „alles
Bestand“(17)hat,dannfolgtderRelativierungeinetheologischeWürdigungder
weltlichenMächte,die zubedenken ist.
MächteundGewaltendieserWeltsollenalsoBestandhaben.DieseSinnspitze
erschließt sich umsomehr, wennman auf den lateinischen und griechischen
Wortlautblickt:Dassalles inGott„Bestandhat“(Kol1,17)wirdvonderVulgata
mit dem Verbum „constant“ (constare) übersetzt. Im Griechischen Original
kommt das Verbum „sum_stgli“ (sunist8mi) zum Einsatz – darin steckt das
moderneWort „System“. Man kann daraus schließen, dass die Kontexte, in
denenmenschlicheExistenzstattfindet–Geschichte,Gesellschaft,Natur–ohne
Regelhaftigkeit, System,Ordnung,mitanderenWorten:ohneGestaltung,nicht
möglich wären und dass dies keine pragmatische, sekundäre Einsicht des
Menschen ist, sonderndass,wieYodermeint,Gottdarumwusste:
„DasUniversumwirdalsonichtwillkürlich,sprunghaftundunberechenbardurcheine
ununterbrocheneFolgeneuergöttlicherEingriffe erhalten.EswurdealsOrdnunger-
schaffen und ,eswar gut‘. Die Schöpferkraft arbeitetemittelbar durch die die ganze
sichtbareWirklichkeitordnendenMächte.“21
In der Sprache seiner Zeit macht Paulus drei fundamentale Aussagen zu den
Mächten: 1. Die Strukturen derWelt sind vonGott geschaffen. Sie sind nicht
etwasSchöpfungsfremdes,sondernMaterialdesHandelnsGottesamMenschen.
2. DieseMächte sind allerdings gefallen, das heißt, diese Strukturen, die dem
Menschen dienen sollen, tendieren dazu, ihn zu beherrschen (oder, biblisch
gesprochen: zu verknechten). 3. Und dennoch können sich die Mächte der
SouveränitätvonGottesVorsehungnichtganzentziehenbzw.wieYodersagt:„Er
kannsie immernochgebrauchen,umGuteszuwirken.“22
20 Ebd., S. 160–163.
21 Ebd., S. 160.
22 Ebd., S. 161.
DanielBogner86
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik