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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
wird.11Es ist vielmehrdavon auszugehen, dass auch religiöseGemeinschaften
das Recht haben, ihr Orientierungsangebot in ihrer genuinen Sprache in den
öffentlichenRaumeinzubringen:
„SäkularisierteBürgerdürfen,soweitsieinihrerRollealsStaatsbürgerauftreten,weder
religiösenWeltbildern grundsätzlich einWahrheitspotential absprechen, noch den
gläubigenMitbürgerndasRechtbestreiten, in religiöserSpracheBeiträgezuöffentli-
chen Diskussionen zumachen. Eine liberale politische Kultur kann sogar von den
säkularisiertenBürgernerwarten,dasssiesichanAnstrengungenbeteiligen,relevante
Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen.“12
DieÜberwindungder „Theologieabstinenz“ zugunsten einer explizitenRefle-
xion theologischer Hintergründe wird im Kontext der postsäkularen Gesell-
schaft zu einer aktuellen Aufgabe Christlicher Sozialethik. Dabei sind jedoch
Versuche, das Theologische unmittelbar im Sinne einer Legitimation be-
stimmter Staatsformen undHerrschaftsverhältnisse zu fassen, vor demHin-
tergrunddergeschichtlichenErfahrungenproblematisch.13PolitischeTheologie
bewährtsichvielmehrgerade inderUnterscheidungderEbenenunddamitder
AbwehrpolitischerVereinnahmungendesTheologischen.Vondaherbetrachtet
sie die Säkularisierung des Staates, d.h. seine Entlastung von jeglichen An-
sprüchenderHeilsvermittlung, alsKonsequenzdeschristlichenGlaubens.Der
säkulare Staat ist jedochdarauf angewiesen, dassdieMenschenaus ihrenper-
sönlichen, meist auch religiös geprägtenWertüberzeugungen heraus verant-
wortlichhandelnundsichauchöffentlichengagieren.Dabei istderEinsatz für
Freiheit,FriedenundGerechtigkeitvonSeiteneinzelnerChristenwievonSeiten
derKirchen ein elementares Zeugnis desGlaubens und keineswegs bloß „hu-
manistischesAppeasement“14.
Das „postsäkulare“ Bewusstsein für die Notwendigkeit, den geistig-kultu-
rellenWurzelgrunddesRechtsundderPolitikdemokratischverfassterGesell-
schaftenzupflegen,umseineBegriffezuverstehen,seinEthoslebendigzuhalten
11 Vgl. Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze,
Frankfurt 2005; Ders.: Glaube undWissen. Zur Diskussion des Habermas’schen Religi-
onsverständnissesvgl.MichaelReder / Josef Schmidt, EinBewusstseinvondem,was fehlt.
EineDiskussionmit JürgenHabermas,Frankfurt2008.
12 Habermas,ZwischenNaturalismusundReligion,S. 115.
13 Vgl.dazuFriedrichW.Graf /HeinrichMeier (Hg.),PolitikundReligion.ZurDiagnoseder
Gegenwart,München2013; JürgenManemann,Carl Schmitt unddiePolitischeTheologie.
PolitischerAnti-Monotheismus,Münster2002.
14 Vgl.WolfgangSpindler,„HumanistischesAppeasement“?HansBarionsKritikanderStaats-
undSoziallehredesZweitenVatikanischenKonzils, Berlin 2011; zurKennzeichnung eines
spezifisch christlichenHumanismus ist immernoch lesenswert: JacquesMaritain, Christ-
licher Humanismus, Heidelberg 1950; aktuell: Arnd Küppers, Menschenrechte im Span-
nungsfeld zwischenGottesrede und säkularer Politik – eine sozialethische Sicht, in: Vogt
(Hg.),TheologiederSozialethik,S. 300-326,hier: S. 314–316.
MarkusVogt96
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik