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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
menschlicher Sinn- und Identitätssuche.33 Diese spannen einen kulturellen
Raumauf, indemMoral erst verhandelbarwird. IhreFarbigkeitund ihrenSitz
imLebengewinnendieseErzählungenmeist alsDarstellungvonKonflikten.
4. InterreligiöseSozialethikunddieEinbeziehungdesAnderen
Esgibt einegewisseStrukturanalogie zwischendemHumanismusdesanderen
MenschenundderHermeneutikökumenischerundinterreligiöserSozialethik,
zuderenmethodischerGrundlegung IngeborgGabrielwichtigeAnstößegege-
benhat.34DieFähigkeit,sichselbstmitdenAugenderanderenzusehen, isteine
entscheidende Bewährungsprobe hinsichtlich des produktiven Umgangs mit
Pluralismus.„DieEinbeziehungdesAnderen“35ermöglichtes,dasEigenetiefer
undbesserzuverstehen:Sieregtdazuan,einreflexivesVerhältniszusichselbst
auszubilden.Wer in der Verschiedenheit die Möglichkeit wechselseitiger Be-
reicherungerkennt,wandelt dieWahrnehmungvonPluralität als Identitätsbe-
drohungindieErfahrungvonPluralitätalsChancevertiefter Identitätsfindung.
SiestärktdieReflexiondereigenenIdentität,weildiesestetsbegründetwerden
muss,undbefähigt sozueinerdialogischenÖffnung.
„Die Einbeziehung des Anderen“ durch dialogischeÖffnung bedeutet somit „nicht
Preisgabe desÜberkommenen, sondernBewährung undBezeugung des Eigenen im
AngesichtdesAnderen.“36
Eine solche „Hermeneutik des Anderen“ ist die philosophische Basis für eine
interreligiöse Sozialethik.37 Zugleich liegt sie konzeptionell dem dialogischen
PrinzipdesZweitenVatikanischenKonzils zugrunde, insbesondere seinenbei-
denDokumentenNostraAetateundGaudiumetspes,alsoderMagnaChartades
Dialogs der Religionen einerseits und der sozialethisch-pastoraltheologischen
Verfassungsgrundlage der Kirche in der modernen Welt andererseits.38 Die
33 Vgl.LudgerHonnefelder,Wassoll ich tun,werwill ichsein?VernunftundVerantwortung,
GewissenundSchuld,Weilerswist2017.
34 Vgl.Gabriel (Hg.), Politik undTheologie; zur interreligiösenWeiterentwicklungdesKon-
zepts vgl. Hansjörg Schmid, Islam im europäischen Haus.Wege zu einer interreligiösen
Sozialethik,Freiburg2012.
35 Habermaswählt diese Formulierung als Titel undLeitgedanken seiner Studien zur politi-
schenTheorie; vgl. JĂĽrgenHabermas,EinbeziehungdesAnderen. Studienzurphilosophi-
schenTheorie,Frankfurt1996.
36 Jan-HeinerTück,DieEinbeziehungderanderen.ZurUnhintergehbarkeitderökumenischen
Öffnung und des interreligiösen Gesprächs, in: zur debatte 3/2013, S. 21–23, hier: S. 21.
37 Vgl. Schmid, IslamimeuropäischenHaus.
38 Zur SchlĂĽsselbedeutungvonGaudiumet spes fĂĽrdenParadigmenwechsel nachkonziliarer
Sozialethik vgl. IngeborgGabriel, Christliche Sozialethik in derModerne.Der kaumrezi-
MarkusVogt102
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik