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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
Bei Chiara Lubich ist dieses Zugleich vonMystik undPolitik, vonKonzen-
trationundWeitemit einemNamenverbunden:GesFAbbandonato, Jesusder
Verlassene. Seit 1944, derZeit der ersten schriftlichenZeugnisse inBriefform,
wirdder gekreuzigte Christus fast nur nochmit diesemNamenangeredet, im
Anschluss andenvonMarkusundMatthäusüberliefertenKreuzesschrei.Von
derGottverlassenheit zu redenheiĂźt fĂĽrLubich, andiedoppelteNotdesMen-
schen inSündeundLeid zudenken.17DiePräsenzvonGott selbst inderGott-
verlassenheit zu glaubenbedeutet, inmittendesLeides andasHeil zu glauben
undHeil zu erfahren,das inderBegegnungmitGott besteht, der sich auf ver-
borgen-geheimnisvolleWeise gerade darin zeigt. Es bedeutet, an den Sieg der
Liebezuglaubenunddiesenauch–punktuellundvorläufig– immerwiederzu
erfahren.VonJesusdemVerlassenenzuredenbedeutetfĂĽrChiara,dasseskeinen
OrtinderWeltgibt,dessenGottverlassenheitnichtimmerschonvonGottselbst
erreicht undvonderVerheißungdesLebens jenseits desTodes getragenwäre.
SeitdererstenIntuition,dieaufden24. Januar1944datiertwerdenkann18,wird
JesusderVerlassenefürsiedas„einzigeBuch“,ausdemsieunterrichtetwerden
will.19DieWortwahl ist nicht zufällig.GesFAbbandonato ist immerbeides:die
existentielle Möglichkeit der Gottesbegegnung und der Ruf in die Nachfolge
einerseits, derSchlĂĽsseldesVerstehens,derdieSicht aufGottundaufdieWelt
grundlegend verändert, andererseits. So beschreibt Lubich bei derDurchsicht
derBriefeaus jenenJahren ihrenEindruck,
„(…)dassdieseLiebezuJesusdemVerlassenenwieeinFeuerinunserHerzeingetreten
war und esmit seiner explosivenKraft durchdrungenhatte; ein Feuer, das alles ver-
schlingtundnichtsübriglässt–wieeinegöttlicheLeidenschaft,dieHerz,Vernunftund
alleKräftemitreißt und einbezieht,wie einBlitz, der erleuchtet.Wir sahen.Wir ver-
standen.EswarenStrömevonLicht.“20
Diese „Ströme von Licht“ waren schon seit den Anfängen da, weil sonst die
EntwicklungdererstenJahre–gegenalleWiderstände–nichterklärbarwären.
DennochbedeutetdiemystischeErfahrungderJahre1949–1951nochmalseine
entscheidende Vertiefung. Chiara selbst benutzt zu deren Charakterisierung
wiederholt den Ausdruck intellektuelle Visionen21.Dieser Begriff aus der Ge-
17 EineumfassendeAnalyse aller publizierten SchriftenLubichs imHinblick auf dieHeilsbe-
deutungvon JesusdemVerlassenen findet sich in: StefanTobler, JesuGottverlassenheit als
HeilsereignisinderSpiritualitätChiaraLubichs.EinBeitragzurÜberwindungderSprachnot
inderSoteriologie,Berlin-NewYork2002.
18 ChiaraLubich,L’unit/eGesFAbbandonato,Roma1984,S. 51(deutscheÜbersetzung:Jesus
derVerlasseneunddieEinheit,MĂĽnchen1992,S. 39).
19 Soschreibtsiees ineinemBriefmitdemDatumdes30.01.1944:ChiaraLubich,Letteredie
primi tempi.Alleoriginidieunanuovaspiritualit/,Roma2010,S. 31.
20 Lubich,L’unit/, S. 60.
21 P49Abs.1534 (auchAnm.144und364).
DieWeltalsGottes Innerstes 129
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Title
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Subtitle
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Authors
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Editor
- Peter G. Kirchschläger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 722
- Category
- Recht und Politik