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Italienische Oper und deutsches Singspiel in der Ära Josephs II.
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sche oder dessen Sonderfall, das Wiener Singspiel: Im Norden agierten mehr
oder weniger gut singende Schauspieler, d. h. eine normale Schauspieltruppe
konnte neben Sprechstücken auch Singspiele aufführen; in Wien hingegen
legte man Wert auf echte Sänger.9
Die meisten Singspiele, wie sie beispielsweise von Johann Adam Hiller,
Georg Benda, Ignaz Umlauff, Paul Wranitzky oder Karl Ditters von Ditters-
dorf produziert wurden, sind heute in Vergessenheit geraten, Mozarts Werke
sind es nicht; daher halten wir Mozarts Entführung aus dem Serail für ein
typisches Singspiel. Das gilt aber vor allem im Nachhinein, denn die Entfüh-
rung hat nicht unwesentlich zur Veränderung der Gattung beigetragen. Als
Kronzeuge dafür fungiert Johann Wolfgang von Goethe, der in seiner Italie-
nischen Reise im Abschnitt vom November 1787 berichtet, warum die Ver-
tonung seines Singspiels Scherz, List und Rache durch den Komponisten
Philipp Christoph Kayser nie zur Aufführung gelangte:
»Unglücklicherweise litt es nach frühern Mäßigkeitsprinzipien an einer
Stimmenmagerkeit; es stieg nicht weiter als bis zum Terzett [...] Alles
unser Bemühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschlie-
ßen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die »Entführung aus dem Serail«
schlug alles nieder, und es ist auf dem Theater von unserm so sorgsam
gearbeiteten Stück niemals die Rede gewesen.«10
Aus der Sicht des 19. Jahrhunderts, die auch in unseren Köpfen noch her-
umspukt, fand in Wien um 1780 ein nationaler Kulturkampf – italienische
versus einheimisch-deutsche Musiker – statt. Deutsche wie Italiener bildeten
erst im 19. Jahrhundert Nationalstaaten, was keineswegs nur ein politischer
Prozess war, sondern auch im kulturellen Bereich von Diskussionen und
propagandistischen Anstrengungen begleitet war. Mozart wurde posthum zur
nationalen Identifikationsfigur, indem man ihn als braven, biederen Deut-
schen hinstellte, der an den welschen (italienischen) Intriganten gescheitert
war.
Sein vermeintlich ›deutsches‹ Werk hingegen hatte sich zu Anfang des 19.
Jahrhunderts durchgesetzt. Um 1800 führte man Mozarts italienische Meis-
terwerke fast grundsätzlich auf Deutsch auf, als »Figaros Hochzeit« und
»Don Juan«, und betitelte sie nicht selten mit »Operette«. »Aufführung auf
deutsch« hieß damals selbstverständlich, dass die Rezitative zu gesprochenen
Dialogen wurden – befremdlich beispielsweise in der »Friedhofsszene« aus
dem II. Akt des Don Giovanni. Così fan tutte ließ sich nicht vernünftig über-
Joachim Reiber: Art. »Singspiel«. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2.
Ausgabe, Sachteil Bd. 8 (1998), Sp. 1740–1489, hier Sp. 170–1741.
9 Vgl. Koch: Das deutsche Singspiel (siehe Anm. 8), S. 72.
10 Johann Wolfgang Goethe: Italienische Reise. Zitiert nach: Goethes Werke. Ham-
burger Ausgabe in 14 Bänden. Textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen
versehen von Erich Trunz. Hamburg: Christian Wegener, Bd. 11 (Autobiographi-
sche Schriften; Bd. 3) (1950), S. 437.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND
Mozart und Salieri – Partner oder Rivalen?
Das Fest in der Orangerie zu Schönbrunn vom 7. Februar 1786
- Title
- Mozart und Salieri – Partner oder Rivalen?
- Subtitle
- Das Fest in der Orangerie zu Schönbrunn vom 7. Februar 1786
- Author
- Paolo Budroni
- Publisher
- V&R unipress
- Location
- Göttingen
- Date
- 2008
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-89971-477-7
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 135
- Category
- Kunst und Kultur