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Roswitha Jacobsen
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3.
Akt, sondern ist wesentlich für die gesamte Handlung und die spezifische Umsetzung
des Liebesdiskurses in diesem Singspiel.
Auch die athenische Prinzessin Orisbe bedient sich gleich zweier Verstellungen, um
ihren abtrünnigen Geliebten zurückzugewinnen. Ihre Verkleidung als Olmiro ermög-
licht es ihr einerseits, dem Geliebten nach Ithaka nachzureisen. Andererseits ist ihre
Maskerade Teil der Intrige, die sie gemeinsam mit Penelope in Gang setzt: Sie spielen
ihrer Umwelt vor, dass Penelope endlich einen der Freier erwählt habe, nämlich Olmiro.
Zugleich versucht der vermeintliche Olmiro Acrisios Passion wieder umzulenken von
Penelope auf Orisbe, bleibt damit aber erfolglos. Lediglich Acrisios Eifersucht auf Olmiro
wird angestachelt, eine weitere Explikation des Eifersuchtsthemas im Stück. Um ihr Ziel
zu erreichen, muss Orisbe ein zweites, wirkungsvolleres Spiel im Spiel inszenieren: Sie
erscheint Acrisio als mahnender Geist an dunkler Grabstätte (III/8), dramaturgisch in
der Funktion eines Deus ex machina, und bewirkt damit, dass er reumütig zu der sich
als Orisbe Enthüllenden zurückkehrt und ihr fortan »beständige Liebe« verspricht. Auch
die Orisbe-Acrisio-Handlung ist weniger Nachahmung von ›Wirklichkeit‹ als Zitat von
Elementen des Liebescodes.
Außer diesen Spiel-im-Spiel-Konstellationen wird ein ikonisches Zeichen als Int-
rigengenerator eingesetzt, und zwar das Bildnis der Penelope. Einmal durch Lippone
versehentlich dem Falschen, nämlich Acrisio statt Ulysses ausgehändigt, befeuert es
dessen Liebe und schürt die Eifersucht Orisbes, die sich von Penelope getäuscht glaubt
(II/2), bis Letztere es Acrisio entreißt und Orisbe übergibt, damit diese, als Olmiro ver-
kleidet, Acrisio damit eifersüchtig machen könne. Das Bild als Beweis für diese oder
jene Liebesverbindung erweist sich als trügerisches Zeichen: Es wird entweder falsch
gelesen oder gar gezielt dazu eingesetzt, falsch gelesen zu werden. Die Wahrheit ent-
hüllt es nicht, vielmehr verstärkt es zuverlässig die Blindheit der in ihren jeweiligen
Wahnvorstellungen befangenen Figuren.
Schließlich ist die Nebenhandlung um eine komische Figur nicht zu vergessen, die
hier wie in zahlreichen anderen frühneuzeitlichen Stücken die ›ernste‹ Haupthandlung
konterkariert und insofern per se als Manifestion des Metatheatralen zu verstehen ist.
Die komische Figur wird hier durch den geldgierigen, dümmlichen, aber treuen Diener
Lippone verkörpert.43 Ihm sind vollständig die beiden Interludien zwischen den drei
Akten gewidmet, in denen er durch seine vertrauensselige Naivität leichtes Opfer von
Betrügern wird, die ihn, indem sie ihm etwas vorspielen, gleich mehrfach um die zu-
vor ergatterten Geldstücke bringen. Auch in der Nebenhandlung gibt es also mehrere
Spiel-im-Spiel-Sequenzen. Lippone sorgt indes auch in der Haupthandlung für allerlei
komische Situationen und Irrungen durch seine Fehlleistungen, spielt aber durchaus
auch eine wichtige Rolle für den Fortgang der Handlung, da er durch seine Geschwätzig-
keit die Intrige der Penelope erst ermöglicht. Die Figuren auf der Bühne, insbesondere
43 In der italienischen Version: Lippio. Vgl. Stenmans 2013, S. 463.
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Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Title
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Subtitle
- Hof – Oper – Architektur
- Authors
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Editor
- Matthias Müller
- Publisher
- Heidelberg University Publishing
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Size
- 19.3 x 26.0 cm
- Pages
- 618
- Keywords
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Category
- Kunst und Kultur