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nennen. Damit eng verbunden ist seine Vorstellung, dass sich die deutsche
KulturohnedieRettungstatdesArminiusnichtentfaltethätte.DerAnführerdes
AufstandesvereinigtedieVolkskraftderDeutschenundwirdsomitzumUrahn
desdeutschenVolkes, derdannnochden fiktivendeutschenNamenHermann
annimmt.48
DerersteKonfliktdiesesMythenelementsmitdemempirischTriftigen liegt
schon indenBegriffen »Deutsche«und»Germanen«.Wie schwierig es ist, die
ersten»Deutschen«inderVergangenheitzuidentifizieren,zeigtsichdaran,dass
seit der Herausbildung desmodernen deutschen Nationalismus darüber dis-
kutiertwird,wannausdemfränkischeneindeutschesReichgewordenist.Daten
von der Mitte des neunten Jahrhunderts bis zumAnfang des zwölften Jahr-
hunderts sindvorgeschlagenworden.DieHerstellungeinerdirektenKontinui-
tätslinie zudenantikenGermanen istdamit inkeinemFall zuerreichen.49
Nochproblematischer ist der Germanenbegriff. In der frühenNeuzeit ori-
entiertemansichandenrömischenAutorenderKaiserzeit,diemit»Germani«
dieVölker rechtsdesRheinsunterEinschlusseiniger linksrheinischerStämme
bezeichneten, ohne jedoch eine genauereKenntnis vondieser Bevölkerung zu
haben. Caesar unterschied die Germanen von den Kelten auch durch ihre
Sprache,wobei ihmnichtklarwar,dasssichdiesprachverwandtenVölkerüber
einenweit größerenRaumerstrecktenalsdie von ihmangenommenenWohn-
gebietederGermani. Schon inderSpätantike sprachenRömerkaumnochvon
Germani und verwendeten anstatt des unklarenAllgemeinbegriffs konkretere
BezeichnungenwieAlemannen, FrankenundGoten,50 zumal es keineQuellen
gibt, die einGemeinschaftsgefühlderGermanibelegen.51
ArchäologischgabesinderfrühenNeuzeitnursehrvageVorstellungenüber
die Germanen. Die Vor- und Frühgeschichte erreichte im neunzehnten Jahr-
hundertkeineProfessionalisierung,erst1902wurdeGustafKossinazumersten
(außerplanmäßigen) Professor fürDeutscheArchäologie an der BerlinerUni-
versität ernannt. IndieserZeitwar fastüberall inEuropadievorgeschichtliche
48 Zum Mythos der Person »Arminius« vgl. auch Riemenschneider, Le mythe national,
139–141.
49 BerndSchneidmüller,»Reich–Volk–Nation.DieEntstehungdesdeutschenReichesundder
deutschenNationimMittelalter«, in:AlmutBuesundRexRexheuser(Hg.),Mittelalterliche
nationes – neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa (Quellen und
Studien 2),Wiesbaden:HarrassowitzVerlag, 1995, 73–102, 87f. Auch online unter http://
www.perspectivia.net/publikationen/qus-warschau/bues-rexheuser_nationes/schneidmuel
ler_reich, zuletzt geprüft am12.August2016.
50 Walter Pohl, »DerGermanenbegriff vom3. bis zum8. Jahrhundert– Identifikationenund
Abgrenzungen«, in:HeinrichBeck,DieterGeuenich,HeikoSteuerundDietrichHakelberg
(Hg.),ZurGeschichte derGleichung »germanisch-deutsch« (Ergänzungsbände zumRealle-
xikonderGermanischenAltertumskunde 34), Berlin,NewYork:Walter deGruyter, 2004,
163–182, 170–174.
51 BrunoBleckmann,DieGermanen,München:C.H.Beck, 2009, 14f.
DerHermannsmythos indeutschenSchulbüchernvon1800bis2000 69
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher