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FunktiondesMythos
Mythen sind für die Auseinandersetzung mit Vergangenheit im Geschichts-
schulbuch und im Geschichtsunterricht in mehrfacher Hinsicht relevant. So
erneuernMythenkulturellesWissenausantikenEntstehungszusammenhängen
und sie werden als Ausdruck religiöser Überlieferungen gelesen.15 Darüber
hinaus stellen Mythen eine Form kollektiven Erinnerns dar, die den Kon-
struktcharakter von Geschichte nachvollziehbar macht. In der gymnasialen
Oberstufe veranschaulichen sie den »(gesellschaftlichen) Umgang mit Ge-
schichte sowie die damit verbundenen spezifischen Formen der Erinnerung«
undsieregenan,sichmitder»GeschichtlichkeitvonMenschundWeltsowieder
WahrheitsfähigkeitvonGeschichte«auseinanderzusetzen.16Mittelbarweisensie
dabei auch auf die alltagssprachliche Bezeichnung vonMythen als unwahre
ErzählungenodereinmaligeundüberhöhtePhänomenehin.
Entscheidend ist, dass der dabei zugrunde gelegteMythosbegriff nicht zu
kurz greift. »EinekulturelitäreDefinition, diedasMythische auf einen zeitlich
undkulturellbeschränkten, antikenEntstehungskontextverengt«17,wärekaum
hilfreich,wennes darumgeht, »die FunktionvonunddenUmgangmit histo-
rischer Erinnerung« im Unterricht zu behandeln. Ein weitreichendes Ver-
ständnisvonMythen,dasunterdemEindruckderModerneaufder intensiven
Auseinandersetzung mit der Geschichte, Rezeption und Theorie des Mythos
beruht, scheintdaherunerlässlich.Sowäre inAnlehnunganRolandBartheszu
argumentieren, dass Mythen keineswegs auf einen Kanon antiker Stoffe und
Inhaltebegrenzt sind, sonderndass sie sichvielmehrdurchdieArtundWeise
auszeichnen, inder siehistorischVerbürgtesundFiktives,PersonenundOrte,
Ereignisseund Ideen sprachlich ausdrücken. IndemBarthesdenBlickaufden
mit kollektiven und unbewussten Bedeutungen aufgeladenen Alltag richtete,
entwickelte er seine Theorie desMythos in derModerne.18Demnach ist der
Mythoseine»Aussage«, einMitteilungssystemoderebendieArtundWeise, in
Practices9 (2015); online verfügbar unter http://criticalliteracy.freehostia.com/index.php?
journal=criticalliteracy&page=article&op=view&path=165 zuletzt geprüft am 1.Sep-
tember2016;MarionDavenas,KolonialismusinGeschichtsschulbüchern.EineUntersuchung
derEntwicklungderDarstellungderdeutschenKolonialgeschichteindeutschenSchulbüchern
für den Geschichtsunterricht, unveröffentlichte Masterarbeit Humboldt-Universität, Poli-
tikwissenschaften,OttoSuhr-Institut:Berlin, 2013.
15 Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Lehrplan für das Gymnasium in Bayern,
München: Staatsinstitut fürSchulqualität inBayern, 2.Auflage2010, 13.
16 Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum für das Gymnasium. Geschichte,
Hildesheim,2011,hier:Rahmenthema»Geschichts-undErinnerungskultur«, 34.
17 StephanieWodianka und Juliane Ebert, »Vorwort«, in: dies. (Hg.),Metzler Lexikonmo-
dernerMythen.Figuren,Konzepte,Ereignisse, Stuttgart:Metzler, 2014,V.
18 RolandBarthes,MythendesAlltags, Frankfurt amMain: Suhrkamp,1964, 85.Vollständige
Neuausgabe:Frankfurt amMainundBerlin: Suhrkamp,2012.
SusanneGrindel122
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher