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Zur Genealogie der Moral
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einzugestehn! Welcher Aufwand an grossen Worten und Attitüden, welche Kunst der »rechtschaffnen« Verleumdung! Diese Missrathenen: welche edle Beredsamkeit entströmt ihren Lippen! Wie viel zuckrige, schleimige, demüthige Ergebung schwimmt in ihren Augen! Was wollen sie eigentlich? Die Gerechtigkeit, die Liebe, die Weisheit, die Überlegenheit wenigstens darstellen – das ist der Ehrgeiz dieser »Untersten«, dieser Kranken! Und wie geschickt macht ein solcher Ehrgeiz! Man bewundere namentlich die Falschmünzer-Geschicklichkeit, mit der hier das Gepräge der Tugend, selbst der Klingklang, der Goldklang der Tugend nachgemacht wird. Sie haben die Tugend jetzt ganz und gar für sich in Pacht genommen, diese Schwachen und Heillos-Krankhaften, daran ist kein Zweifel: »wir allein sind die Guten, die Gerechten, so sprechen sie, wir allein sind die homines bonae voluntatis.« Sie wandeln unter uns herum als leibhafte Vorwürfe, als Warnungen an uns, – wie als ob Gesundheit, Wohlgerathenheit, Stärke, Stolz, Machtgefühl an sich schon lasterhafte Dinge seien, für die man einst büssen, bitter büssen müsse: oh wie sie im Grunde dazu selbst bereit sind, büssen zu machen, wie sie darnach dürsten, Henker zu sein! Unter ihnen giebt es in Fülle die zu Richtern verkleideten Rachsüchtigen, welche beständig das Wort »Gerechtigkeit« wie einen giftigen Speichel im Munde tragen, immer gespitzten Mundes, immer bereit, Alles anzuspeien, was nicht unzufrieden blickt und guten Muths seine Strasse zieht. Unter ihnen fehlt auch jene ekelhafteste Species der Eitlen nicht, die verlognen Missgeburten, die darauf aus sind, »schöne Seelen« darzustellen und etwa ihre verhunzte Sinnlichkeit, in Verse und andere Windeln gewickelt, als »Reinheit des Herzens« auf den Markt bringen: die Species der moralischen Onanisten und »Selbstbefriediger«. Der Wille der Kranken, irgend eine Form der Überlegenheit darzustellen, ihr Instinkt für Schleichwege, die zu einer Tyrannei über die Gesunden führen, – wo fände er sich nicht, dieser Wille gerade der Schwächsten zur Macht! Das kranke Weib in Sonderheit: Niemand übertrifft es in Raffinements, zu herrschen, zu drücken, zu tyrannisiren. Das kranke Weib schont dazu nichts Lebendiges, nichts Todtes, es gräbt die begrabensten Dinge wieder auf (die Bogos sagen: »das Weib ist eine Hyäne«). Man blicke in die Hintergründe jeder Familie, jeder Körperschaft, jedes Gemeinwesens: überall der Kampf der Kranken gegen die Gesunden, – ein stiller Kampf zumeist mit kleinen Giftpulvern, mit Nadelstichen, mit tückischem Dulder-Mienenspiele, mitunter aber auch mit jenem Kranken- Pharisäismus der lauten Gebärde, der am liebsten »die edle Entrüstung« spielt. Bis in die geweihten Räume der Wissenschaft hinein möchte es sich hörbar machen, das heisere Entrüstungsgebell der krankhaften Hunde, die bissige Verlogenheit und Wuth solcher »edlen« Pharisäer (– ich erinnere Leser, die Ohren haben, nochmals an jenen Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten
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Zur Genealogie der Moral
Title
Zur Genealogie der Moral
Author
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Date
1887
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.0 cm
Pages
148
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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