Page - 19 - in Österreichische Bürgerkunde
Image of the Page - 19 -
Text of the Page - 19 -
II. Staat und Recht. 19
satze zu den nur auf persönlichen Beziehungen beruhenden Verbänden als eine
Gebietskörperschaft. Im Staate bestehen zwar auchnoch andere Gebiets-
körperschaften (Gemeinden und höhere Kommunalverbände); dem Staate aber
steht die oberste und umfassendste Gewalt zu, jede andere Gewalt ist von ihm ab-
geleitet. Er aUein bestimmt frei die Ziele und Mittel seiner Tätigkeit ; die anderen
Verbände sind auf die ihnen gesetzten Aufgaben beschränkt.
Je nach der Organisation der Staaten unterscheiden wir ihre Formen^);
die Richtung ihrer Betätigung ergibt sich aus ihi'enZwecke n^). Mit den Staaten
selbst sind auch ilire Formen und Zwecke geschichtlichem Wandel unterworfen.
Eine lange Ent\vicklungsreilie fühlt in zahllosen Übergängen von den rohen An-
fängen staathcher Gemeinschaft, wie wir sienoch heute bei denprimitivenStämmen
antreffen, bis zum modernen Rechts- und Kulturstaate.
In welchem Verhältnisse steht der Staat zm- Gesellschaft ? Man hat versucht,
den Staat gewissermaßen als einen Gegensatz zur Gesellschaft hinzustellen; diese
wäre dieGesamtheitder freiwilligen, aufdem Gleichklang der Interessenberuhenden
Vereinigungen, jener eine auf Herrschaft und Ausbeutung gerichtete Machtorgani-
sation^). Beides ist falsch. Auch die gesellschaftlichen Beziehungen sind nicht durch-
aus freiwiUiger Ai*t, denn das geseUschaftUche Leben schafft Regeln, Über- und
Unterordnungsverhältnisse, denen niemand sich entziehen kann. Ein gutes Stück
staathcherOrdnung ist schondmxh dasWalten gesellschaftlicher Kräfte vorgebildet
und vom Staate nur aufgenommen worden. Nicht minder irrig ist die Annahme,
als ob die Zwecke des Staates den gesellschafthchen Interessen widersprächen.
Beide laufen nebeneinander und fließen in mancher Hinsicht zusammen. Staat wie
Gesellschaft streben, jedes auf seine Weise, den großen Entwdcldungszielen der
Menschheitentgegen; geradediewichtigstengesellschaftMchenAufgabenwerdendurch
den Staat oder mit seiner Hilfe gelöst. Erst die Leistungen des Staates ermöglichen
den sicherenBestandund die selbsttätigeEntwicklungder Gesellschaft; dieOrdnung
und die Leistungen des Staates sind aber gesellschaftlich bedingt. Dadurch wird
der Staat mitten in den Fluß der geseUschaftüchen Entwicklung gestellt. Die Ge-
schichte des Staates ist mit der Gesellschaftsgeschichte des Staatsvolkes eng ver-
knüpft.
II. Staat und Recht.
Staat und Recht stehen in notwendiger und enger Wechselbeziehung zuein-
ander. Einsicht in dasWesenund in dieAufgaben des Rechtes gehört daher mitzum
Verständnisse des Staates. Der Staat ist vor allem eine rechtliche Ordnung ; die un-
bedingte Anerkennung und Unterordnung, die wir ihm entgegenbringen, beruht
dai-auf, daß mr seinen Bestand, seine Organisation, sein Verhältnis zu den Mit-
gliedern des Staatsverbandes und seine Gewalt als rechtüch begründet empfinden.
Schaffungund Aufi'echterhaltung der Rechtsordnung gehören mit zu seinen wich-
tigstenAufgaben. Endlich ist der moderne Staat selbst sowohlnach innen als auch
nach außen, also anderen Staaten gegenüber, Rechtssubjekt, das heißt Träger von
Rechten und Pflichten.
^) Vergl. das V. Kapitel.— -) Vergl. unten S. 27f.— ') Auf diesem irrigen Standpunkte
stehen auch die Begründer der modernen Soziologie Auguste C om t e und Herbert
Spencer. Vergl. über dieselben Anm. 2 und 3 auf S. 39.
back to the
book Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918