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24 ///. Die Staatstheorien.
Am Anfange aller Staatstheorien steht eine theologische Auf-
fassung des Staates. Denn die Staatsgemeinschaft ist die längste Zeit zugleich
eine religiöse Gemeinschaft gewesen. Die staatliche Ordnung wird daher auf gött-
lichen Ursprung zurücl^eführt; Unterordnung unter den Staat, Gehorsam gegen
die Gesetze und die Obrigkeit gelten als von der Gottheit anbefohlene Pflicht.
Das ist die antike Auffassung. Die altorientalischen Staaten, vornehmlich der
jüdische Staat, verbinden die theologische Begründung der Staaten mit der T h e o-
k r a t i e, in welcher der Herrscher unmittelbar als der Vertreter der göttlichen
Macht erscheint.
Das Mittelalter wird von dem Gedanken eines umfassenden Verbandes be-
herrscht, in dem Staat und Kirche eine Einheit bilden. In ihr treffen zwei ver-
schiedene Gewalten, die geistliche und die weltliche, zusammen. Der Streit über
das gegenseitige Verhältnis derselben begleitet den weltgeschichthchen Kampf
zwischen geistlicher und weltlicher Macht im Mittelalter.
Die neuere theologische Kichtung führt zwar gleichfalls die Eimichtung des
Staates überhaupt auf überirdischen Ursprung zurück; allein darüber, ob auch
die Gewalt der einzelnen Staaten und ihrer Beherrscher von Gott stamme, gehen
die Lehrmeinungen auseinander. Während die eine Richtung die Herrschergewalt
durch Übertragung seitens des Volkes entstehen läßt (eine Vorstufe der späteren
Theorie von der Volkssouveränetät), führt die andere Stellung und Macht des
weltUchen Herrschers auf dessen göttliche Sendung zurück. So wird insbesondere
der fürstliche Absolutismus durch Belegstellen aus der Heiligen Schrift gestützt^).
Auch die konservativen Staatstheoretiker in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
stellen die geschichtlichen Staatsformen als von Gott gebilligt hin, um die revo-
lutionären Forderungen mit desto größerem Nachdruck zurückweisen zu können^).
Abarten der theologischen Staatsauffassung sind die Patriarchaltheorie und
die Patrimonialtheorie. Die Patriarchaltheorie läßt den Staat aus der
Erweiterung der Familie entstehen und begründet die Stellung des Regenten durch
Belegstellen aus der Heiligen Schrift mit seiner väterlichen Gewalt^). Die Patri-
monialtheorie leitet die fürstlichen Machtbefugnisse aus dem Besitze des
Staatsgebietes ab*). Sie fand ihre Stütze in der mittelalterlichen Anschauung,
daß dem Könige das Obereigentum am gesamten Boden zustehe, ist aber bis in
die neueste Zeit zur Rechtfertigung des Absolutismus verwendet worden. Nach-
klänge an diese Theorien haben sich im Sprachgebrauch erhalten, so wenn der
Regent als Landesvater oder seine Beziehung zum Staatsgebiet als ein Besitz-
oder Eigentumsverhältnis bezeichnet wird.
Während die genannten Theorien die Staatsgewalt durch die Zurückführung
auf göttüchen Ursprung zugleich sittlich begründen, verzichtet die reineMach t-
th e r i e auf eine derartige Rechtfertigung des Staats, indem sie den Staat
^) So z. B. im Zeitalter LudwigsXIV,von J. B.Bossuet (1627—1704) in seiner Politique
tir^e de l'^criture sainte". Paris 1709. — ^) Der bedeutendste Vertreter dieser Richtung ist
Friedrich Julius Stahl (1802—1861). Sein Hauptwerk ist die „Philosophie des Rechtes nach
geschichtlicher Ansicht". Erste Auflage 1830—1833.— ») Vergl. G.-Jellinek, Adam in der
Staatslehre 1893. — *) Die wichtigste Schrift dieser Richtung ist des Berner Patriziers
Ludwig von Haller Werk: Die „Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie
des natürlich geselligen Zustandes der Chimäre der künstlich bürgerlichen entgegengesetzt."
Wintcrthur 1816—1825.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918